Mittwoch, 24. September 2008

Lässt reichlich Eiweiß mehr Fett schmelzen?

Regelmäßige Leser dieser Seiten wissen gut, wie wichtig ich eine ausreichend hohe Proteinaufnahme finde, besonders unter einer kalorienreduzierten Diät.

Aber wie viel Protein ist genug Protein?

Dieser Frage ging Leo Treyzon mit seinen Mitarbeitern der Universität von Kalifornien in Los Angeles nach. Sie berichteten über ihre kontrollierte Studie zur Proteinanreicherung von fertigen Diät-Mahlzeiten im Journal of Nutrition.

Es handelte sich um eine einfachblinde plazebokontrollierte randomisierte Studie zum Gewichtsverlust bei 100 ambulant behandelten adipösen Männern und Frauen. Sie verglich zwei isokalorische Diätpläne und verwendete Standard-Ersatzmahlzeiten (meal replacement, MR), denen zusätzliches Protein- oder Kohlenhydratpulver zugesetzt war. MR wurde zweimal täglich verwendet (eine Mahlzeit, eine Zwischenmahlzeit). Eine zusätzliche Mahlzeit wurde in den Diätplan aufgenommen, um eine individualisierte Eiweißaufnahme zu erreichen, und zwar

1) 2,2 g Protein/kg/fettfreie Körpermasse (LBM, lean body mass)/Tag (Hochprotein-Diät, HP)

oder

2) 1,1 g Protein/kg LBM/Tag (Standardproteindiät, SP)

Die fettfreie Körpermasse wurde mit Hilfe der bioelektrischen Impedanz ermittelt. Das Gewicht, die Körperzusammensetzung und das Lipidprofil wurden zu Studienbeginn und nach 12 Wochen dokumentiert.

85 Personen schlossen die Studie ab. Die Gewichtsabnahme fiel in beiden Gruppen vergleichbar aus (-4,19 kg HP, -3,72 kg SP). Aber die Personen in der HP-Gruppe verloren signifikant mehr Fettgewicht (etwa 1 kg) als die in SP, geschätzt mit Impedanz. Die HP-Gruppe ließ außerdem eine signifikante Abnahme der Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel erkennen.
Die Autoren schließen, dass Ersatzmahlzeiten mit höherem Eiweißgehalt zu einem signifikant höheren Fettverlust führen als die Standard-Proteinaufnahme.

Was bedeutet das? Natürlich hat die Studie relevante Limitierungen. Eine 12-Wochen-Studie ist kaum lange genug, um den langfristigen Erfolg dieser eiweißreichen Strategie zu bestimmen. Wie mit jeder Abnehmstrategie ist es für den Erhalt des erreichten Körpergewichts notwendig, dem Regime treu zu bleiben – ob diese Methode umsetzbar oder akzetabel ist, war keine Frage, die diese Studie beantworten kann.

Meine Quintessenz lautet, dass eine relativ eiweißreiche Diät zumindest der Gewichtsabnahme nicht entgegen steht. Andererseits ist mir nicht klar, warum das zu einem selektiv höheren Verlust an Fettmasse führen sollte. Aber wenn dem tatsächlich so sei, dann hätte wohl niemand etwas dagegen einzuwenden..

AMS
Toronto, Alberta

Dienstag, 23. September 2008

2,16 Milliarden übergewichtige Personen im Jahr 2030?

“Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen" - Niels Bohr (dänischer Physiker )

Kürzlich tauchten ziemlich optimistische Ergebnisse auf (wie in meinem Blog diskutiert), die andeuteten, dass zumindest in den USA die Adipositas-Epidemie ihren Höhepunkt erreicht hat. Aber selbst wenn das tatsächlich so wäre, gibt es kaum einen Grund, sich keine Sorgen mehr zu machen, denn die Adipositas-Epidemie greift anderswo unvermindert weiter um sich.

Wo werden wir im Jahr 2030 stehen, nur gute zwei Jahrzehnte von jetzt an, wenn der globale Trend weiterhin nicht abflaut?

Das war das Thema einer Analyse von Tanika Kelly und Kollegen, Tulane University in New Orleans. Sie erschien aktuell im
International Journal of Obesity.

Kelly und Mitarbeiter identifizierten publizierte Berichte zur Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in repräsentativen Populationsstichproben aus 106 Ländern, die etwa 88% der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Dann bezogen sie die geschlechts- und altersspezifische Prävalenz von Übergewicht und Adipositas auf die Bevölkerung im Jahr 2005, um die Zahlen für übergewichtige und adipöse Personen in jedem Land, jeder Weltregion und der gesamten Welt zu schätzen. Zusätzlich legten sie diese Prävalenzen mit und ohne Korrektur für Jahrhunderttrends zugrunde, um die Zahl an übergewichtigen und adipösen Menschen im Jahr 2030 vorauszusagen.

Im Jahr 2005 waren 937 Millionen oder 23,2% der Weltbevölkerung übergewichtig (24,0% der Männer und 22,4% der Frauen), und 396 Millionen oder 9,8% waren adipös (7,7% der Männer, 11,9% der Frauen). Für das Jahr 2030 wurde die Zahl der übergewichtigen und adipösen Erwachsenen mit 1,35 Milliarden und 573 Millionen Personen projiziert, ohne Korrektur für
Jahrhunderttrends. Für den Fall, dass die jüngsten Jahrhunderttrends wie bisher weiter gehen, wurde die absolute Zahl mit 2,16 Milliarden übergewichtigem und 1,12 Milliarden adipösem Individuen prognostiziert.

Kaum überraschend schlossen die Autoren, dass Übergewicht und Adipositas weltweit wichtige klinische und gesundheitspolitische Probleme sind.

Sollte sich jemand fragen, was genau die globalen Epidemien an Diabetes, Herzkrankheiten, Arthrose und Krebs unterhält: Sie brauchen nicht weiter zu schauen. Die einfache Botschaft lautet: Wenn Politiker und Gesundheitssysteme die Adipositasprävention und -behandlung nicht baldmöglich in den Griff bekommen, dann sind vermutlich alle anderen
Anstrengungen null und nichtig.

AMS
Toronto, Ontario

Montag, 22. September 2008

Zeitfressende Uhr und gesundheitsfressende Adipositas

Am Freitag war ich in Cambridge, UK, wo ich wegen ein paar Minuten Stephen Hawkins öffentliche Enthüllung einer bemerkenswerten, über eine Million Euro teure mechanischen Uhr verpasste. Sie zeigt eine riesige zeitfressende Heuschrecke.

Die Uhr, deren Herstellung ihren Erfinder und Horologen John Taylor sieben Jahre kostete, hat keine Zeiger oder digitalen Zahlen, sondern verwendet statt dessen blitzende blaue LED-Lichter, um alle fünf Minuten die genaue Stunde, Minute und Sekunde anzuzeigen. (So lange sie die Zeit nicht anzeigt, schießen die blauen Blitze in anscheinend zufälligen Mustern herum).

Oben auf der Uhr dreht ein glänzender, mit dem Hinterteil wippender Grashüpfer (oder Chronophage = Zeitfresser) unermüdlich den Rand einer 1,20 m messenden runden Drehscheibe, wobei er in seinen mahlenden Kiefern die Minuten verschlingt und damit die Beobachter gemahnt, dass die Zeit vergeht. In Worten des Erfinders: “Ich wollte darstellen, dass die Zeit ein Zerstörer ist – sobald eine Minute verstrichen ist, kann man sie nie mehr zurück bekommen.”

Als ich über den zeitverschlingenden Grashüpfer nachlas und nachdachte, kam mir unwillkürlich die Analogie zum Übergewicht – jeden Tag, den man das Übergewicht mit sich schleppt, nimmt es einen Bissen von der Gesundheit, erhöht den Blutdruck, belastet das Herz, stört den Schlaf, knabbert am Knorpel der Hüften und Knie und steigert das Krebsrisiko. Aber ganz anders als bei der Zeit kann viel vom angerichteten Schaden nochmals rückgängig gemacht oder wenigstens gestoppt werden, indem man abnimmt und das Gewicht dann hält – wenn man früh genug eingreift.

Einfacher gesagt als getan. Und ist es nicht ein sonderbarer Zufall, dass die häufigste „Ausrede“ für ungesundes Essen und zu wenig Bewegung gerade der Zeitmangel ist – während der Chronophage die Zeit verschlingt, die Sie ins Gewichtsmanagement stecken müssen, verschlingt Ihr Gewicht Ihre Gesundheit - wäre das nicht auch eine Idee für eine Uhr – oder lieber für eine Waage?

Hier finden Sie ein faszinierendes Video (englisch) und die Erklärung für The Corpus Clock and Chronophage

AMS
Toronto, Ontario

Samstag, 20. September 2008

Adipositas und Benzinpreise foerdern Fahrradverkauf

Die Stammleser dieses Blogs kennen meine Leidenschaft fuer das Radfahren - keiner wird mich je auf einem Fahrrad-Ergometer ertappen, aber ich fahre gern mit dem Rad, wenn ich irgendwohin kommen will.

Aber mit steigenden Adipositas-Raten und gestiegenen Oelpreisen sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Radwege weiter ganz fuer mich allein habe.

Laut einem Artikel im ECONOMIST verkaufte Giant Manufacturing (Taiwan), der weltgroesste Fahrradhersteller, im letzten Monat die Rekordzahl von 46,000 Raedern. Fuer viele Modelle leisten die Kauefer schon Monate, bevor ihr Kauf vom Band rollt, eine Anzahlung (aehnlich wie bei Hybrid-Autos).

Seit 2004 sind die Preise fuer Fahrraeder um 23% in Europa, 45% in Amerika und fast 50% in Asien gestiegen, und das, obwohl Tausende von Billigherstellern Schiffsladungen von billigen Fahrraedern auf den Markt werfen.

Wenn Sie die Fahrradwirtschaft genauer interessiert: lesen Sie einfach den Beitrag im ECONOMIST.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 17. September 2008

Wasser trinken, um abzunehmen?

Genug zu trinken ist ein wichtiger Aspekt einer gesunden Ernährung. In früheren Arbeiten zeigten meine ehemaligen Kollegen Michael Boschmann und Jens Jordan in Berlin, dass es den Grundumsatz 60 Minuten lang um 25% steigert, wenn gesunde Männer 500 ml Wasser trinken – nicht jedoch, wenn sie die gleiche Menge einer isoosmotischen Salzlösung einnehmen (JCEM 2007).

Kann Wassertrinken also beim Gewichtsmanagement helfen? Und ist ein solcher Effekt spezifisch für Wasser?

Diese Frage wurde jetzt von Jodi Stookey und Mitarbeitern des Oakland Research Insitute in Oakland (Kalifornien) eingehender untersucht. Sie publizierten ihre Ergebnisse diesen Monat in OBESITY.

Die retrospektive Studie prüfte den Zusammenhang zwischen absolut und relativ vermehrtem Wassertrinken und der Gewichtsabnahme über 12 Monate bei 173 übergewichtigen Frauen vor der Menopause (zwischen 25 und 50 Jahren), die an der Stanford A TO Z Weight Loss Study teilnahmen und zu Studienbeginn angaben, weniger als einen Liter Wasser pro Tag zu trinken.

Ernährung, körperliche Aktivität, Körpergewicht, Prozent Körperfett (gemessen per DEXA) und Taillenumfang wurden zu Studienbeginn sowie nach 2, 6 und 12 Monaten ermittelt. An jedem dieser Zeitpunkte wurden die durchschnittlichen täglich genossenen Mengen an Wasser, nichtkalorienhaltigen Getränken, ungesüßten kalorienhaltigen Getränken (z.B. 100% Fruchtsaft, Milch) und gesüßten kalorienhaltigen Getränken dokumentiert. Nahrungsenergie und Nährstoffe wurden mithilfe von drei vorher unangekündigten 24-Stunden-Abfragungen zur Ernährung geschätzt. Die Menge an Getränken wurde in absoluter Menge (g) und in relativer Menge (% der Getränke) festgehalten.

Absolut und relativ vermehrtes Wassertrinken war mit einem signifikanten Verlust an Gewicht und Fett im Zeitverlauf assoziiert, unabhängig von der Diätgruppe, von Änderungen bei anderen Getränken, von der Menge und Zusammensetzung anderer Nahrungsmittel und von der körperlichen Aktivität.
Wie bedeutsam ist dieses Ergebnis? Es ist sicherlich konsistent mit der Hypothese, dass Wassertrinken tatsächlich den Stoffwechsel beeinflusst. Andererseits sind retrospektive Studien mit einigen Schwierigkeiten befrachtet. Ich meine, wir sollten auf eine prospektive randomisierte Studie warten, um das endgültig zu klären.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 16. September 2008

Unterstützt Chitosan das Abnehmen?

Chitosan entsteht durch Deazetylierung von Chitin, einem Baustein der Panzer von Krebstieren. Es wird breit als Schlankheitsmittel verkauft - mit dem Anspruch, dass Chitosan (bzw. die löslichen Ballaststoffe, die sich bilden, wenn Chitosan mit verdünnter Magensäure in Kontakt kommt) Fett binden und die Fettresorption bzw. -Verdauung in einem für das Abnehmen relevanten Ausmaß herabsetzen kann. Als “natürliches” Produkt wird es auch als sicher ohne Nebenwirkungen angeboten, untermalt durch persönliche Fallgeschichten von ungeheuer optimistischen „Abnehm-Wundern“.

Und, funktioniert Chitosan auch?

Diese Frage thematisierte ein kürzlich erschienener Cochrane Database Systematic Review von Andrew Jull und Mitarbeitern der Universität von Auckland in Neuseeland. Die Forscher prüften elektronische Datenbanken (MEDLINE, EMBASE, BIOSIS, CINAHL, The Cochrane Library), spezialisierte Webseiten (Controlled Trials, IBIDS, SIGLE, Reuter’s Health Service, Natural Alternatives International, Pharmanutrients), Bibliographien relevanter Zeitschriftenbeiträge, und sie kontaktierten wichtige Autoren und Hersteller.

Studien wurden in die Übersicht aufgenommen, wenn sie Chitosan randomisiert über mindestens vier Wochen bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas untersuchten. Die Autoren der eingeschlossenen Studien wurden um zusätzliche Information gebeten, wenn notwendig.

15 Studien mit insgesamt 1219 Teilnehmern erfüllten die Einschlusskritierien. Die Analyse zeigte, dass Chitosan-Präparate im Vergleich zu Plazebo einen statistisch signifikant größeren Gewichtsverlust von etwa 1,7 kg herbeiführten, mit einem mäßigem Rückgang von Gesamtcholsterin und Blutdruck.

Die Autoren stellen jedoch fest, dass die Studienqualität vielfach suboptimal war. Wenn sie die Analyse auf größere und längere Studien begrenzten, waren die Effekte substanziell geringer ausgeprägt als in den kleineren Studien.

Die Autoren schließen: Es gibt einige Evidenz, dass Chitosan in der kurzfristigen Behandlung von Übergewicht und Adipositas etwas wirksamer als Plazebo ist, aber die Ergebnisse der wenigen Studien guter Qualität zeigen, dass die Chitosan-Wirkung auf das Körpergewicht minimal ist und kaum klinische Bedeutung erlangen kann.

Für mich ist das eindeutig nicht genug Evidenz, um Chitosan meinen Patienten zu empfehlen. Mein Rat lautet: Sparen Sie ihr Geld für Behandlungen, die tatsächlich funktionieren.

AMS
Edmonton, Alberta

Freitag, 12. September 2008

CABPS begrüßt Unterstützung für die Bariatrie

Gestern besuchte ich ein Symposium von der Canadian Association of Bariatric Physicians and Surgeons (CABPS) in Halifax.

Mehran Anvari (McMaster University) berichtete über die Ankündigung, dass den bariatrischen Centers of Excellence in Ontario 75 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt werden, und Nikolas Christou (McGill University) betonte den dringenden Bedarf für ähnliche Entscheidungen in den anderen kanadischen Provinzen einschließlich Quebec.

Bariatrische Chirurgen, die sich bemühen, Programme in Regina (Saskatchewan), Moncton (New Brunswick), Richmond (British Columbia) und weiteren Regionen zu entwickeln, sprachen über ihre Anstrengungen und den ungeheuren Bedarf an ihren Angeboten.

In meinem Vortrag forderte ich eine landesweite Initiative, um den Zugang zur bariatrischen Versorgung zu verbessern, nicht nur für chirurgische, sondern auch für medizinische, psychologische und rehabilitative Verfahren. Ebenso betonte ich, dass es unrealistisch ist, den über 5 Millionen Kanadiern, die ihre Adipositas bekämpfen wollen, eine Behandlung zukommen zu lassen, wenn nicht ihre Hausärzte und Grundversorgernetzwerke sich landesweit voll hierfür engagieren.

Die Adipositas nicht zu behandeln heißt letzten Endes, die Komplikationen behandeln zu müssen – Adipositas-Therapie IST Prävention!

AMS
Halifax, Nova Scotia