Mittwoch, 24. September 2008

Lässt reichlich Eiweiß mehr Fett schmelzen?

Regelmäßige Leser dieser Seiten wissen gut, wie wichtig ich eine ausreichend hohe Proteinaufnahme finde, besonders unter einer kalorienreduzierten Diät.

Aber wie viel Protein ist genug Protein?

Dieser Frage ging Leo Treyzon mit seinen Mitarbeitern der Universität von Kalifornien in Los Angeles nach. Sie berichteten über ihre kontrollierte Studie zur Proteinanreicherung von fertigen Diät-Mahlzeiten im Journal of Nutrition.

Es handelte sich um eine einfachblinde plazebokontrollierte randomisierte Studie zum Gewichtsverlust bei 100 ambulant behandelten adipösen Männern und Frauen. Sie verglich zwei isokalorische Diätpläne und verwendete Standard-Ersatzmahlzeiten (meal replacement, MR), denen zusätzliches Protein- oder Kohlenhydratpulver zugesetzt war. MR wurde zweimal täglich verwendet (eine Mahlzeit, eine Zwischenmahlzeit). Eine zusätzliche Mahlzeit wurde in den Diätplan aufgenommen, um eine individualisierte Eiweißaufnahme zu erreichen, und zwar

1) 2,2 g Protein/kg/fettfreie Körpermasse (LBM, lean body mass)/Tag (Hochprotein-Diät, HP)

oder

2) 1,1 g Protein/kg LBM/Tag (Standardproteindiät, SP)

Die fettfreie Körpermasse wurde mit Hilfe der bioelektrischen Impedanz ermittelt. Das Gewicht, die Körperzusammensetzung und das Lipidprofil wurden zu Studienbeginn und nach 12 Wochen dokumentiert.

85 Personen schlossen die Studie ab. Die Gewichtsabnahme fiel in beiden Gruppen vergleichbar aus (-4,19 kg HP, -3,72 kg SP). Aber die Personen in der HP-Gruppe verloren signifikant mehr Fettgewicht (etwa 1 kg) als die in SP, geschätzt mit Impedanz. Die HP-Gruppe ließ außerdem eine signifikante Abnahme der Gesamt- und LDL-Cholesterinspiegel erkennen.
Die Autoren schließen, dass Ersatzmahlzeiten mit höherem Eiweißgehalt zu einem signifikant höheren Fettverlust führen als die Standard-Proteinaufnahme.

Was bedeutet das? Natürlich hat die Studie relevante Limitierungen. Eine 12-Wochen-Studie ist kaum lange genug, um den langfristigen Erfolg dieser eiweißreichen Strategie zu bestimmen. Wie mit jeder Abnehmstrategie ist es für den Erhalt des erreichten Körpergewichts notwendig, dem Regime treu zu bleiben – ob diese Methode umsetzbar oder akzetabel ist, war keine Frage, die diese Studie beantworten kann.

Meine Quintessenz lautet, dass eine relativ eiweißreiche Diät zumindest der Gewichtsabnahme nicht entgegen steht. Andererseits ist mir nicht klar, warum das zu einem selektiv höheren Verlust an Fettmasse führen sollte. Aber wenn dem tatsächlich so sei, dann hätte wohl niemand etwas dagegen einzuwenden..

AMS
Toronto, Alberta

Dienstag, 23. September 2008

2,16 Milliarden übergewichtige Personen im Jahr 2030?

“Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen" - Niels Bohr (dänischer Physiker )

Kürzlich tauchten ziemlich optimistische Ergebnisse auf (wie in meinem Blog diskutiert), die andeuteten, dass zumindest in den USA die Adipositas-Epidemie ihren Höhepunkt erreicht hat. Aber selbst wenn das tatsächlich so wäre, gibt es kaum einen Grund, sich keine Sorgen mehr zu machen, denn die Adipositas-Epidemie greift anderswo unvermindert weiter um sich.

Wo werden wir im Jahr 2030 stehen, nur gute zwei Jahrzehnte von jetzt an, wenn der globale Trend weiterhin nicht abflaut?

Das war das Thema einer Analyse von Tanika Kelly und Kollegen, Tulane University in New Orleans. Sie erschien aktuell im
International Journal of Obesity.

Kelly und Mitarbeiter identifizierten publizierte Berichte zur Prävalenz von Übergewicht und Adipositas in repräsentativen Populationsstichproben aus 106 Ländern, die etwa 88% der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Dann bezogen sie die geschlechts- und altersspezifische Prävalenz von Übergewicht und Adipositas auf die Bevölkerung im Jahr 2005, um die Zahlen für übergewichtige und adipöse Personen in jedem Land, jeder Weltregion und der gesamten Welt zu schätzen. Zusätzlich legten sie diese Prävalenzen mit und ohne Korrektur für Jahrhunderttrends zugrunde, um die Zahl an übergewichtigen und adipösen Menschen im Jahr 2030 vorauszusagen.

Im Jahr 2005 waren 937 Millionen oder 23,2% der Weltbevölkerung übergewichtig (24,0% der Männer und 22,4% der Frauen), und 396 Millionen oder 9,8% waren adipös (7,7% der Männer, 11,9% der Frauen). Für das Jahr 2030 wurde die Zahl der übergewichtigen und adipösen Erwachsenen mit 1,35 Milliarden und 573 Millionen Personen projiziert, ohne Korrektur für
Jahrhunderttrends. Für den Fall, dass die jüngsten Jahrhunderttrends wie bisher weiter gehen, wurde die absolute Zahl mit 2,16 Milliarden übergewichtigem und 1,12 Milliarden adipösem Individuen prognostiziert.

Kaum überraschend schlossen die Autoren, dass Übergewicht und Adipositas weltweit wichtige klinische und gesundheitspolitische Probleme sind.

Sollte sich jemand fragen, was genau die globalen Epidemien an Diabetes, Herzkrankheiten, Arthrose und Krebs unterhält: Sie brauchen nicht weiter zu schauen. Die einfache Botschaft lautet: Wenn Politiker und Gesundheitssysteme die Adipositasprävention und -behandlung nicht baldmöglich in den Griff bekommen, dann sind vermutlich alle anderen
Anstrengungen null und nichtig.

AMS
Toronto, Ontario

Montag, 22. September 2008

Zeitfressende Uhr und gesundheitsfressende Adipositas

Am Freitag war ich in Cambridge, UK, wo ich wegen ein paar Minuten Stephen Hawkins öffentliche Enthüllung einer bemerkenswerten, über eine Million Euro teure mechanischen Uhr verpasste. Sie zeigt eine riesige zeitfressende Heuschrecke.

Die Uhr, deren Herstellung ihren Erfinder und Horologen John Taylor sieben Jahre kostete, hat keine Zeiger oder digitalen Zahlen, sondern verwendet statt dessen blitzende blaue LED-Lichter, um alle fünf Minuten die genaue Stunde, Minute und Sekunde anzuzeigen. (So lange sie die Zeit nicht anzeigt, schießen die blauen Blitze in anscheinend zufälligen Mustern herum).

Oben auf der Uhr dreht ein glänzender, mit dem Hinterteil wippender Grashüpfer (oder Chronophage = Zeitfresser) unermüdlich den Rand einer 1,20 m messenden runden Drehscheibe, wobei er in seinen mahlenden Kiefern die Minuten verschlingt und damit die Beobachter gemahnt, dass die Zeit vergeht. In Worten des Erfinders: “Ich wollte darstellen, dass die Zeit ein Zerstörer ist – sobald eine Minute verstrichen ist, kann man sie nie mehr zurück bekommen.”

Als ich über den zeitverschlingenden Grashüpfer nachlas und nachdachte, kam mir unwillkürlich die Analogie zum Übergewicht – jeden Tag, den man das Übergewicht mit sich schleppt, nimmt es einen Bissen von der Gesundheit, erhöht den Blutdruck, belastet das Herz, stört den Schlaf, knabbert am Knorpel der Hüften und Knie und steigert das Krebsrisiko. Aber ganz anders als bei der Zeit kann viel vom angerichteten Schaden nochmals rückgängig gemacht oder wenigstens gestoppt werden, indem man abnimmt und das Gewicht dann hält – wenn man früh genug eingreift.

Einfacher gesagt als getan. Und ist es nicht ein sonderbarer Zufall, dass die häufigste „Ausrede“ für ungesundes Essen und zu wenig Bewegung gerade der Zeitmangel ist – während der Chronophage die Zeit verschlingt, die Sie ins Gewichtsmanagement stecken müssen, verschlingt Ihr Gewicht Ihre Gesundheit - wäre das nicht auch eine Idee für eine Uhr – oder lieber für eine Waage?

Hier finden Sie ein faszinierendes Video (englisch) und die Erklärung für The Corpus Clock and Chronophage

AMS
Toronto, Ontario

Samstag, 20. September 2008

Adipositas und Benzinpreise foerdern Fahrradverkauf

Die Stammleser dieses Blogs kennen meine Leidenschaft fuer das Radfahren - keiner wird mich je auf einem Fahrrad-Ergometer ertappen, aber ich fahre gern mit dem Rad, wenn ich irgendwohin kommen will.

Aber mit steigenden Adipositas-Raten und gestiegenen Oelpreisen sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Radwege weiter ganz fuer mich allein habe.

Laut einem Artikel im ECONOMIST verkaufte Giant Manufacturing (Taiwan), der weltgroesste Fahrradhersteller, im letzten Monat die Rekordzahl von 46,000 Raedern. Fuer viele Modelle leisten die Kauefer schon Monate, bevor ihr Kauf vom Band rollt, eine Anzahlung (aehnlich wie bei Hybrid-Autos).

Seit 2004 sind die Preise fuer Fahrraeder um 23% in Europa, 45% in Amerika und fast 50% in Asien gestiegen, und das, obwohl Tausende von Billigherstellern Schiffsladungen von billigen Fahrraedern auf den Markt werfen.

Wenn Sie die Fahrradwirtschaft genauer interessiert: lesen Sie einfach den Beitrag im ECONOMIST.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 17. September 2008

Wasser trinken, um abzunehmen?

Genug zu trinken ist ein wichtiger Aspekt einer gesunden Ernährung. In früheren Arbeiten zeigten meine ehemaligen Kollegen Michael Boschmann und Jens Jordan in Berlin, dass es den Grundumsatz 60 Minuten lang um 25% steigert, wenn gesunde Männer 500 ml Wasser trinken – nicht jedoch, wenn sie die gleiche Menge einer isoosmotischen Salzlösung einnehmen (JCEM 2007).

Kann Wassertrinken also beim Gewichtsmanagement helfen? Und ist ein solcher Effekt spezifisch für Wasser?

Diese Frage wurde jetzt von Jodi Stookey und Mitarbeitern des Oakland Research Insitute in Oakland (Kalifornien) eingehender untersucht. Sie publizierten ihre Ergebnisse diesen Monat in OBESITY.

Die retrospektive Studie prüfte den Zusammenhang zwischen absolut und relativ vermehrtem Wassertrinken und der Gewichtsabnahme über 12 Monate bei 173 übergewichtigen Frauen vor der Menopause (zwischen 25 und 50 Jahren), die an der Stanford A TO Z Weight Loss Study teilnahmen und zu Studienbeginn angaben, weniger als einen Liter Wasser pro Tag zu trinken.

Ernährung, körperliche Aktivität, Körpergewicht, Prozent Körperfett (gemessen per DEXA) und Taillenumfang wurden zu Studienbeginn sowie nach 2, 6 und 12 Monaten ermittelt. An jedem dieser Zeitpunkte wurden die durchschnittlichen täglich genossenen Mengen an Wasser, nichtkalorienhaltigen Getränken, ungesüßten kalorienhaltigen Getränken (z.B. 100% Fruchtsaft, Milch) und gesüßten kalorienhaltigen Getränken dokumentiert. Nahrungsenergie und Nährstoffe wurden mithilfe von drei vorher unangekündigten 24-Stunden-Abfragungen zur Ernährung geschätzt. Die Menge an Getränken wurde in absoluter Menge (g) und in relativer Menge (% der Getränke) festgehalten.

Absolut und relativ vermehrtes Wassertrinken war mit einem signifikanten Verlust an Gewicht und Fett im Zeitverlauf assoziiert, unabhängig von der Diätgruppe, von Änderungen bei anderen Getränken, von der Menge und Zusammensetzung anderer Nahrungsmittel und von der körperlichen Aktivität.
Wie bedeutsam ist dieses Ergebnis? Es ist sicherlich konsistent mit der Hypothese, dass Wassertrinken tatsächlich den Stoffwechsel beeinflusst. Andererseits sind retrospektive Studien mit einigen Schwierigkeiten befrachtet. Ich meine, wir sollten auf eine prospektive randomisierte Studie warten, um das endgültig zu klären.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 16. September 2008

Unterstützt Chitosan das Abnehmen?

Chitosan entsteht durch Deazetylierung von Chitin, einem Baustein der Panzer von Krebstieren. Es wird breit als Schlankheitsmittel verkauft - mit dem Anspruch, dass Chitosan (bzw. die löslichen Ballaststoffe, die sich bilden, wenn Chitosan mit verdünnter Magensäure in Kontakt kommt) Fett binden und die Fettresorption bzw. -Verdauung in einem für das Abnehmen relevanten Ausmaß herabsetzen kann. Als “natürliches” Produkt wird es auch als sicher ohne Nebenwirkungen angeboten, untermalt durch persönliche Fallgeschichten von ungeheuer optimistischen „Abnehm-Wundern“.

Und, funktioniert Chitosan auch?

Diese Frage thematisierte ein kürzlich erschienener Cochrane Database Systematic Review von Andrew Jull und Mitarbeitern der Universität von Auckland in Neuseeland. Die Forscher prüften elektronische Datenbanken (MEDLINE, EMBASE, BIOSIS, CINAHL, The Cochrane Library), spezialisierte Webseiten (Controlled Trials, IBIDS, SIGLE, Reuter’s Health Service, Natural Alternatives International, Pharmanutrients), Bibliographien relevanter Zeitschriftenbeiträge, und sie kontaktierten wichtige Autoren und Hersteller.

Studien wurden in die Übersicht aufgenommen, wenn sie Chitosan randomisiert über mindestens vier Wochen bei Erwachsenen mit Übergewicht oder Adipositas untersuchten. Die Autoren der eingeschlossenen Studien wurden um zusätzliche Information gebeten, wenn notwendig.

15 Studien mit insgesamt 1219 Teilnehmern erfüllten die Einschlusskritierien. Die Analyse zeigte, dass Chitosan-Präparate im Vergleich zu Plazebo einen statistisch signifikant größeren Gewichtsverlust von etwa 1,7 kg herbeiführten, mit einem mäßigem Rückgang von Gesamtcholsterin und Blutdruck.

Die Autoren stellen jedoch fest, dass die Studienqualität vielfach suboptimal war. Wenn sie die Analyse auf größere und längere Studien begrenzten, waren die Effekte substanziell geringer ausgeprägt als in den kleineren Studien.

Die Autoren schließen: Es gibt einige Evidenz, dass Chitosan in der kurzfristigen Behandlung von Übergewicht und Adipositas etwas wirksamer als Plazebo ist, aber die Ergebnisse der wenigen Studien guter Qualität zeigen, dass die Chitosan-Wirkung auf das Körpergewicht minimal ist und kaum klinische Bedeutung erlangen kann.

Für mich ist das eindeutig nicht genug Evidenz, um Chitosan meinen Patienten zu empfehlen. Mein Rat lautet: Sparen Sie ihr Geld für Behandlungen, die tatsächlich funktionieren.

AMS
Edmonton, Alberta

Freitag, 12. September 2008

CABPS begrüßt Unterstützung für die Bariatrie

Gestern besuchte ich ein Symposium von der Canadian Association of Bariatric Physicians and Surgeons (CABPS) in Halifax.

Mehran Anvari (McMaster University) berichtete über die Ankündigung, dass den bariatrischen Centers of Excellence in Ontario 75 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt werden, und Nikolas Christou (McGill University) betonte den dringenden Bedarf für ähnliche Entscheidungen in den anderen kanadischen Provinzen einschließlich Quebec.

Bariatrische Chirurgen, die sich bemühen, Programme in Regina (Saskatchewan), Moncton (New Brunswick), Richmond (British Columbia) und weiteren Regionen zu entwickeln, sprachen über ihre Anstrengungen und den ungeheuren Bedarf an ihren Angeboten.

In meinem Vortrag forderte ich eine landesweite Initiative, um den Zugang zur bariatrischen Versorgung zu verbessern, nicht nur für chirurgische, sondern auch für medizinische, psychologische und rehabilitative Verfahren. Ebenso betonte ich, dass es unrealistisch ist, den über 5 Millionen Kanadiern, die ihre Adipositas bekämpfen wollen, eine Behandlung zukommen zu lassen, wenn nicht ihre Hausärzte und Grundversorgernetzwerke sich landesweit voll hierfür engagieren.

Die Adipositas nicht zu behandeln heißt letzten Endes, die Komplikationen behandeln zu müssen – Adipositas-Therapie IST Prävention!

AMS
Halifax, Nova Scotia

Donnerstag, 11. September 2008

German-Canadian Business Association

Diese Woche hielt ich einen Vortrag vor der German-Canadian Business and Professional Association of Alberta.

Der Titel meines Referats lautete “Adipositas: Kosten und Möglichkeiten”.

Ein Vortrag über Adipositas vor einem Saal voller Unternehmer und Geschäftsleute ist etwas ziemlich anderes als eine Präsentation, die ich üblicherweise vor Medizinern, Politikern oder Laien mit Interesse an Adipositas halte.

Ohne Frage beeinflusst Adipositas das Business, egal welche Geschäfte man betreibt. Wie in einem früheren Blog-Eintrag zu lesen, hat das Conference Board die jährlichen Kosten der Adipositas für US-Arbeitgeber mit etwa $45 Milliarden beziffert, wesentlich mehr als die Kosten für Rauchen oder problematisches Trinken.

Andererseits gibt es einen riesigen globalen Markt für Adipositas-Lösungen, die tatsächlich funktionieren (und sogar für solche, die nicht funktionieren). Wie Leser dieses Blogs wissen, bietet eine Milliarden-Dollar-Industrie Abnehmmethoden feil, die nicht nur wertlos sind, sondern vielfach sogar nachteilig für Menschen, die verzweifelt alles versuchen, um abzunehmen. Stellen Sie sich den Markt und den Gewinn vor, wenn Sie wirklich ein Produkt oder Programm anbieten könnten, das seine Versprechen einhält.

Geld verdienen kann man mit Diagnostik, Therapeutika, Beratung, Dienstleistungen, Ausrüstung, medizinischen Geräten und sogar mit Möbeln und Kleidung. Wenn wir die Ideen und Expertise von akademischen Institutionen in Alberta anzapfen, um Lösungen für Adipositas zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen, die wirklich funktionieren, wird das nicht nur den Einwohnern von Alberta dienen, sondern hoffentlich jedem anderen auch, der mit dieser bedauerlichen Sache kämpft.

AMS
Edmonton, Alberta

Adipositas und Notfallintubation

Die Intubation zur Sicherung der Atemwege ist eine der häufigsten Maßnahmen der Notfallversorgung von Schwerverletzten. Jeder, der schon intubiert hat, weiß, dass die anatomischen und physiologischen Verhältnisse bei Adipositas eine Intubation erschweren. Die Vermutung liegt daher nahe, dass das Risiko für ein Fehlschlagen der Intubation oder für Atemwegskomplikationen im Notfall bei schwer verletzten adipösen Patienten erhöht ist.

Trifft das aber tatsächlich zu?

Um diese Frage zu beantworten, haben Ziad Sifri und Mitarbeiter der New Jersey Medical School in Newark prospektiv gesammelte Daten aus einer Datenbank von 9880 Patienten untersucht (Journal of Trauma). Diese Patienten waren einem städtischen Traumazentrum der Maximalversorgung zugewiesen worden und hatten dringlich eine atemwegssichernde Versorgung benötigt. Die Autoren ordneten die Patienten nach ihrem BMI vier verschiedenen Gruppen zu.

Über die dreijährige Studiendauer, wurden 1435 (14%) notfallmäßig intubiert. Sie stellten die Studienpopulation. Etwa 92% der Intubationen auf der Notfallstation wurden vom Anästhesie-Team vorgenommen. Von allen notfallintubierten Patienten waren 46% schlank, 37% übergewichtig, 15% adipös und 2% adipös mit Folgekrankheiten.

Interessanterweise war der BMI kein unabhängiger Risikofaktor für fehlgeschlagene Intubationen, Atemwegskomplikationen nach Intubation oder Tod, weder außerhalb der Klinik noch auf der Notfallstation. Nur frühe Atemwegskomplikationen zeigten einen statistisch signifikanten, aber klinisch wohl kaum relevanten Bezug zu einem höheren BMI.

Die Autoren schließen, dass die Notfallintubation adipöser Traumapatienten sicher und erfolgreich in einem Traumazentrum der Maximalversorgung durchgeführt werden kann. Ob das Gleiche auch für Zentren mit weniger Erfahrung gilt, muss man noch sehen.

Insgesamt stimmt diese Studie deutlich mit früheren Ergebnissen überein, dass das Gewicht oder die Größe keine bestimmende Determinante für das Behandlungsergebnis oder die Überlebenswahrscheinlichkeit in kritischen Situationen ist.

In erfahrener Hand gibt es eindeutig keinen Grund, bei Patienten mit höheren BMI mit einer Intubation zu zögern.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 10. September 2008

Adipositas sagt eine schlechte Brustkrebsprognose voraus

Die Adipositas ist nicht nur ein relevanter Risikofaktor für Brustkrebs, sondern sie ist auch mit schlechteren Behandlungsresultaten korreliert.

Der Grund für diesen Zusammenhang ist unklar und wurde kürzlich von Jennifer Litton und Mitarbeitern der Universität von Texas, Houston, genauer beleuchtet (Journal of Clinical Oncology).

Die Forschungsgruppe untersuchte die Beziehung zwischen BMI und dem Ansprechen auf neoadjuvante Chemotherapie (NC) bei Frauen mit operablem Brustkrebs. Neoadjuvante Chemotherapie ist ein Konzept, bei dem Patienten noch vor der Operation eine Chemotherapie erhalten, um den Tumor zu verkleinern, sodass die Operation einfacher und die Wahrscheinlichkeit für
einen Erfolg höher wird.

Von Mai 1990 bis Juli 2004 wurde bei 1169 Patientinnen am M. D. Anderson Cancer Center invasiver Brustkrebs diagnostiziert und vor der Operation mit NC behandelt. Die Frauen wurden den Kategorien übergewichtig, adipös und normal/untergewichtig zugeordnet. Die logistische Regressionsanalyse wurde eingesetzt, um die Assoziation zwischen BMI und einem vollständigen Ansprechen (völlige Freiheit von intakten Tumorzellen im entfernten Gewebe, ein Marker für eine gute Prognose) zu ermitteln.

30% der Patientinnen waren adipös, 32% waren übergewichtig und 38% normal- oder untergewichtig. Übergewichtige und adipöse Frauen erlebten etwa 30 bis 40% seltener ein vollständiges Ansprechen nach obengenannter Definition.

Interessanterweise hatten adipöse Frauen auch häufiger Hormon negative Tumoren, Tumoren im Stadium III, und ihre Gesamtüberlebensrate nach einer mittleren Nachbeobachtungsdauer von 4,1 Jahren war signifikant schlechter.

Die Autoren schließen, dass Adipositas nicht nur ein Risikofaktor für Brustkrebs ist, sondern auch ein Risikofaktor für ein schlechteres Ansprechen auf die neoadjuvante Chemotherapie und für ein schlechteres Gesamtüberleben. Sie raten, dem Adipositas-Management mehr Aufmerksamkeit zu schenken, um die Versorgung von Brustkrebspatientinnen zu optimieren.

Denken Sie daran: Gewichtsabnahme ist zumindest in chirurgischen Studien mit einer Senkung der Krebsmortalität um 60% assoziiert!

AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 8. September 2008

Führen Süßstoffe zur Gewichtszunahme?

Süßstoffe sind besonders in Getränken weit verbreitet, und die Nahrungs- und Getränkeindustrie setzt sie verschwenderisch in "Diätprodukten" ein. Paradoxerweise haben etliche große Studien in jüngster Zeit übereinstimmend gezeigt, dass der vermehrte Genuss dieser Produkte mit Gewichtszunahme einher geht.

Auch eine neue Studie von Sharon Fowler und Mitarbeitern an der Universität von Texas in San Antonio, gerade in OBESITY erschienen, bestätigt das. Die Arbeitsgruppe untersuchte die Korrelation zwischen dem Genuss künstlich gesüßter Getränke (artificially sweetened beverage, ASB) und der langfristigen Zunahme in der San Antonio Heart Study. Von 1979 bis 1988
wurden Größe, Gewicht und Konsum künstlich gesüßter Getränke bei 5158 erwachsenen Einwohnern von San Antonio, Texas, gemessen. Sieben bis acht Jahre später wurden 3682 Teilnehmer (74% der Überlebenden) nochmals untersucht.

Bei den Teilnehmern mit einem BMI unter 30 zu Studieneinschluss waren mehr als >21 ASB pro Woche versus kein Genuss süßstoffhaltiger Getränke mit einem fast verdoppelten Risiko für Übergewicht oder Adipositas assoziiert. Bei diesem Ergebnis erhebt sich die Frage, ob Süßstoff unsere eskalierende Adipositas-Epidemie noch verstärkt, statt sie zu bekämpfen.

Wenn ASB keine Kalorien haben, wie kommt es dann zu diesem Ergebnis?

Die Autoren äußern einige verschiedene Vermutungen:

1. Der Gebrauch von Süßstoff könnte einfach ein "Marker" für Leute mit Gewichtsproblemen sein. Das klingt ziemlich logisch. Natürlich, wer zunimmt, egal aus welchem Grund, greift eher zu Süßstoffen. Am Ende hat man doch noch weiter zugenommen, aber dann sieht es aus, also ob diese Produkte das das Problem verursachen; ohne diese Produkte hätten diese Menschen vielleicht noch viel mehr zugenommen.

2. Der Genuss von Süßstoffen könnte indirekt zur Gewichtszunahme führen: Dafür könnte es mehrere Gründe geben einschließlich der Tatsache, dass man die durch weniger Zuckeraufnahme eingesparten Kalorien durch eine höhere Fettaufnahme wieder wettmacht (am Ende holt sich der Körper immer die Kalorien, die er braucht). Verwender von Diätprodukten könnten mit anderen Nahrungsmitteln überkompensieren ("ich hatte ja eine Diätlimo und 180 kcal gespart, jetzt kann ich mir einen zweiten Burger gönnen" [mit 400 kcal] = Nettoüberschuss von 220 kcal). Weil Süßsstoffe so süß sind, könnten sie drittens auf lange Sicht die Süßempfindung desensibilisieren. Wenn man dann richtigen Zucker isst, nimmt man dann davon mehr (=mehr Kalorien), damit es ebenso süß schmeckt.

3. Süßstoff könnte direkt zur Zunahme führen: Es gibt Evidenz dafür, dass zumindest bei einigen Menschen Süßstoff oder süßer Geschmack selbst Hunger, Heißhunger oder die Menge an genossenen Nahrungsmitteln steigern kann. Ein paar Studien haben angedeutet, dass Süßstoffe den Insulinspiegeln steigern können, in der Folge dann zur Hypoglykämie und zu Hunger führen. Schließlich erwiesen sich zumindest in Tierstudien hohe Aspartamspiegel als neurotoxisch im arquatischen Nukleus des Hypothalamus, einer entscheidenenden Kernregion für die Regulierung von Hunger und Appetit.

Was der Grund auch sein mag, mein Rat an die Patienten lautet, sich von Süßstoffen zu verabschieden. Wenn es gar nicht anders geht, ist es besser, etwas richtigen Zucker über das Essen zu streuen oder sogar die halbe Menge in Getränken zu genießen. Vor ein paar Jahren habe ich selbst umgestellt von zwei Teelöffeln Zucker im Kaffee auf überhaupt keinen Zucker - ich brauchte eine Weile, um mich daran zu gewöhnen, aber heute schmeckt mir gesüßter Kaffee gar nicht mehr, und ich genieße nur noch ein bisschen Zucker im Tee.

AMS
Edmonton, Alberta

Sonntag, 7. September 2008

Ist aktives Pendeln eine Lösung für die Adipositas-Krise?

Wir leben nun einmal in einer Gesellschaft, die für das Automobil entworfen wurde und unverändert vom Automobil abhängig ist. Das kann eine bedeutende Variable unter den vielschichtigen Faktoren sein, die man für den Motor der Adipositas-Epidemie hält (das Wortspiel ist eher unbeabsichtigt!).

Wie stark würde "aktives Pendeln" (also zur Arbeit zu laufen oder mit dem Rad zu fahren) dazu beitragen, das Ausmaß der Adipositas-Prävalenzu zu reduzieren?

Dieser Frage ging nun Roy Shephard, Universität von Toronto, genauer auf den Grund. Er publizierte seine Arbeit gerade in Sports Medicine.

Laut Shephard ziehen zwar Kinder und Jugendliche Radfahren vor, aber für Erwachsene wird Gehen zur bevorzugten Option, aus Gründen der Sicherheit, der Fahrradunterbringung und des geforderten Kleidungsstils in der Firma. Das ist besonders in nordamerikanischen Städten so, wo die Stadtplanung und das Wetter nicht günstig fürs Radfahren sind. In einigen europäischen Ländern ist der aktive Transport häufiger, wenn es Fahrrad- und Fußgängerwege gibt. Aber in den meisten entwickelten Gesellschaften ging der "aktive Nahverkehr" in den letzten Jahren zurück.

Versuche, das Zufußgehen in einer "seßhaften" Bevölkerung zu fördern, hatten bisher noch wenig Erfolg.

Ein wöchentlicher zusätzlicher Energieverbrauch von mindestens 4000 kJ (~1000 kcal) wird empfohlen, um die Gesamt- und die kardiovaskuläre Mortalität zu senken. Das kann man beispielsweise erreichen, indem man zweimal am Tag an 5 Tagen pro Woche1,9 km in 22 Minuten geht, oder indem man bei einer Geschwindigkeit von 16 km/h 11 Minuten lang zweimal täglich an 5 Tagen pro Woche radfährt.

Bei Gehen auf ebener Strecke kann diese Belastung für einen kardiovaskulären Nutzen bei älteren Erwachsenen angemessen sein. Aber fitte junge Arbeiter müssen entweder schneller oder auf einer hügeligen Strecke gehen, um kardiorespiratorisch zu profitieren. Radeln dagegen kan auch für junge Erwachsene einen ausreichenden kardiovaskulären Stimulus bieten.

Empirische Daten haben bisher unterschiedliche Ergebnisse erbracht: Eine gesenkte Gesamt- und kardiovaskuläre Mortalität wurde häufiger bei Radlern als bei Fußgängern beobachtet und häufiger bei Frauen und älteren Männern als bei jungen aktiven Pendlern.

Wir brauchen noch mehr Information über die typische wöchentliche Aktivitätsdosis beim aktiven Pendeln und den Einfluss, den diese Art, zur Arbeit zu kommen, auf die allgemeine Haltung gegenüber körperlicher Aktivität hat. Auch müssen wir bessere Methoden finden, um unsere inaktive Bevölkerung einzubinden, sowohl durch Beratung als auch durch eine veränderte Stadtplanung.

Ich mache mir keine Illusionen, dass wir die Adipositas-Epidemie in naher Zukunft durch aktives Pendeln lösen können, aber für meinen Teil bin ich froh, dass meine täglich Radstrecke (7 km in 24 Minuten) jeweils zur und von der Arbeit die Erfordernisse für kardiovaskuläre Fitness und geringere Mortalität übersteigt (aber abgenommen habe ich dadurch bestimmt nicht!).

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 4. September 2008

Warum uns WAGR weiter führt

Es gibt über 50 Syndrome mit Adipositas, von denen die meisten mit einer mehr oder weniger ausgeprägten mentalen Retardierung einher gehen. Bei einigen dieser Syndrome kann die Adipositas auf Probleme mit der Mobilität oder der kognitiven Kontrolle der Nahrungsaufnahme einher gehen. In vielen Fällen nimmt man aber an, dass der zugrunde liegende genetische Defekt direkt die Gene betrifft, die für die Energiekontrolle wichtig sind. Beim mit Heißhunger und Hyperphagie einher gehenden Prader-Willi syndrom beispielsweise, einem der häufigsten Syndrome mit einer bereits ab Kindheit auftretenden Adipositas, sind vermutlich genau die Gene, die das Syndrom verursachen, direkt in der Regulierung von Hunger und Appetit involviert.

Obwohl sie ziemlich selten sind, lassen sich diese syndromischen Adipositasformen als “natürliche Experimente" auffassen, und ihre eingehender Untersuchung kann Einblick in die komplexe Biologie der Energiehomöostase geben. Wenn sich die Gene finden lassen, welche diese seltenen Adipositasformen verursachen, könnte das zu neuen pharmakologischen Zielen und damit zu neuen Medikamenten führen, die vielleicht auch bei adipösen Menschen wirken, die nicht am betreffenden Syndrom leiden.

Diese Woche beleuchtet die Arbeitsgruppe von Joan Han (National Institutes of Health in Bethesda, MD) im New England Journal of Medicine das Gen, das für das extrem seltene WAGR syndrom (Wilms-Tumor, Aniridie, urogenitale Fehlbildungen und mentale Retardierung) verantwortlich ist. Diese Patienten bilden eine kleine Untergruppe der schweren, in der Kindheit beginnenden Adipositas. Verursacht wird das WAGR Syndrom durch einen Bruch der WT1- und PAX6-Gene, die auf dem Chromosom 11 lokalisiert sind. Durch Einsatz verschiedener Techniken fanden die Forscher, dass adipöse Individuen mit diesem Syndrom einen zusätzlichen genetischen Defekt haben, der das Gen für den Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) einschliesst.

Dass BDNF tatsächlich eng mit der Energieregulierung zu tun hat, wurde bereits aufgrund von Studien bei Mäusen und Fallberichten über adipöse Kinder vermutet, die entweder eine Mutation dieses Gens oder seines Rezeptors für das Genprodukt (TrkB) erkennen ließen. Die aktuelle Studie liefert nun schlüssige Evidenz, dass ein Defekt oder eine Insuffizienz dieses Gens tatsächlich zu einer hyperphagen Adipositas mit Beginn in der Kindheit führt.

Warum ist das wichtig? Wie das Begleiteditorial von Philippe Froguel und Alexandra Blakemore betont, zeigten Tiermodelle, dass BDNF, das im hypothalamischen paraventrikulären Kern freigesetzt wird, eng mit der Wirkung von anderen hypothalamischen Faktoren im Zusammenhang steht, die mit dem Nahrungsaufnahmeverhalten in Verbindung stehen, so mit dem a-MSH/MC4 Rezeptor-Signalweg und hemmenden Wirkungen des Neuropeptids Y. Die Infusion von BDNF ins Gehirn verminderte die Hyperphagie bei MC4R-defizitären Mäusen. Es ist daher vorstellbar, dass zerebral wirksame BDNF-Mimetika sich in der Adipositastherapie als wirksam erweisen könnten.

Selbstverständlich ist es ein langer Weg von der Identifikation eines potenziellen Ziels bis zum tatsächlich wirkenden Medikament, das sicher genug für die Anwendung beim Menschen ist. Aber neue Hoffnung auf eine Therapie kann nur durch ein besseres Verständnis der komplexen Neurobiologie des Nahrungsaufnahmeverhaltens entstehen.

Im Augenblick besteht unsere beste Therapie für die schwere Adipositas in chirurgischen Eingriffen. Vor diesem Hintergrund ist jede Hoffnung auf eine Behandlung willkommen, mit der sich die Zahl der Patienten, die definitiv chirurgisch behandelt werden müssen, senken lässt.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 3. September 2008

Was wollen Kids und Eltern?

Zum Weight Wise Program gehören zwei pädiatrische Adipositaskliniken der Tertiärversorgung. Sie versorgen die steigende Zahl adipöser Kinder und Jugendlichen der Region.

Was erwarten diese Jugendlichen und ihre Eltern von einem Adipositas-Programm? Welche Hürden müssen sie zur Verbesserung des Lebensstils überwinden? Welche Themen sind in der Familie, unter Gleichaltrigen, im Gesundheitssystem, für die Strategie und das Programm generell wichtig?

Mit diesen Fragen befassten sich Nicholas Holt und Kollegen, Universität von Alberta, in einer Studie, die aktuell in Qualitative Health Research erschien. Für diese Studie unter Leitung von Geoff Ball (Bild), wurden 41 Interviews mit Eltern und Kindern auf der Warteliste der pädiätrischen Gewichtsmanagement-Klinik geführt. Die daraus gesammelten Daten wurden über eine fundierte Methodologie analysiert.

Die Studie erlaubt zahlreiche Einblicke in familiäre und andere Bedingungen, mit denen diese Familien konfrontiert sind. Ich finde, die folgenden Zitate sprechen für sich:

Zur Überbehütung durch Eltern:

“Seit [unsere Tochter] klein war, als erste tolle Tochter in der Familie . . . haben wir sie nicht aus den Augen gelassen. Wir waren ängstlich, jeder von uns, nicht nur [meine Frau] und ich . . . die ganze Familie eben . . .weil sie [Tochter] das erste Kind war . . . wir hatten einfach Angst, dass ihr etwas passiert . . . wahrscheinlich haben wir sie ein bisschen zuviel beschützt . . . [vor körperlicher Aktivität].”

oder

“Ich habe [meinen Sohn] extrem überbehütet . . . ich habe ihm immer gesagt, ‘Geh nicht raus in die Kälte’. Ich will nicht, dass er nach draußen geht. Wir haben das nicht gefördert [sich zu bewegen].”

(in einer Stadt wie Edmonton dauert der Winter 5 Monate - da ist das tatsächlich keine besonders hilfreiche Haltung)

Zu Mahlzeiten in der Familie:

“Mein Mann hat gerade einen neuen Job mit Schichtarbeit. Sich um fünf gemeinsam an den Tisch zu setzen, das gibt es bei uns einfach nicht mehr . . . I setze mich an die Frühstückstheke und er sitzt vor dem Fernseher, und jeder isst für sich mit einem anderen Fernseher vor der Nase.”

Zur Bedeutung des Fernsehens allgemein:

“Ich glaube, wir haben ungefähr fünf TV-Geräte zu Hause und vier davon sind nur . . . also zwei sind DVD-Spieler. Naja, bei meinem Bruder im Zimmer steht einer für DVDs und Filme, aber das ist alles. Mein Vater hat einen in seinem Zimmer, der empfängt über den Satelliten von unten. Unten steht auch noch einer, mit einem großen Bildschirm, das ist aber nur
Satellitenfernsehen. In unserem Spielzimmer haben wir zwei TVs. Der eine davon soll für “GameCube” sein und der andere ist eigentlich für die “PlayStation”, aber aus irgendeinem Grund kann man mit den beiden auch fernsehen. Ja, dann haben wir noch einen Computer . . . oder besser zwei . . . ein Laptop und einen Computer.”

Wie Fernsehen das soziale Leben verkümmern lässt:

“[Die Freundinnen meiner Tochter] treffen sich und reden über . . . also da gibt es One Tree Hill, Gilmore Girls, Grey’s Anatomy . . . und das sehen sie fast jeden Abend . . . Ich weiß nicht, wie ich die Fernsehzeit begrenzen soll. . . ich weiß es einfach nicht. Das wäre echt schwierig . . . sie könnte ja noch über einzelne von diesen Serien mitreden . . . dann würde das ihr soziales Leben nicht ganz ruinieren . . . obwohl, wahrscheinlich täte es das doch.”

Zur medizinischen Versorgung:

“Die Medizin, wissen Sie, die Leute machen einen Schilddrüsentest und solche Dinge und sonst passiert dann fast nichts, und alles packen sie dann auf [unsere] Schultern.”

Jeder, der sich für Kinder- und Jugendlichen-Adipositas interessiert, muss diese faszinierende Studie lesen, um besser zu verstehen, was tatsächlich in den Familien abläuft, die mit Adipositas kämpfen, und mit welchen Hindernissen sie konfrontiert sind, wenn sie ihr Verhalten ändern wollen.

Ich kann den Autoren nur beipflichten, die resümieren: “Für Programmplaner und Anbieter medizinischer Dienstleistungen, die den bestmöglichen Service entwickeln und anbieten sollen, ist es von fundamentaler Bedeutung, die persönlichen Erfahrungen von übergewichtigen Kindern und ihrer Familien, die Gewichtsmanagement wünschen, zu kennen und zu berücksichtigen .”

Wie bei Erwachsenen sind Zuviel-Essen und "Unter-Bewegung" Symptome familärer, kultureller, gesellschaftlicher und umweltbedingter Herausforderungen, die sich den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien stellen. Ihnen einfach zu raten "isst weniger und beweg dich mehr” ist etwa so wirkungsvoll wie ihnen zu sagen “schönen Tag heute”.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 2. September 2008

Wochenend-Lebensstil und Körpergewicht

Das lange Wochenende verbrachte ich mit Wandern auf den Gipfel des Bear’s Hump Mountain im Waterton Lakes National Park und besuchte den Head-Smashed-in Buffalo Jump und die Frank Slide Interpretive Centres in Southern Alberta. Andere haben vielleicht Vorbereitungen für den Schulstart getroffen.

Nachdem das Wochenende vorbei ist, fragen Sie sich vielleicht, wie die Wochenend-Beschäftigung denn das Körpergewicht beeinflussen soll.

Diese Frage war Gegenstand einer randomisierten kontrollierten Studie, die ein Jahr mit Kalorienrestriktion (caloric restriction/CR) mit einem Jahr täglichem Sport (daily exercise/EX) bei 48 gesunden Erwachsenen zwischen 50 und 60 Jahren mit einem BMI zwischen 23,5 und 29,9 verglich (OBESITY). In dieser Studie von Susan Racette und Mitarbeitern, Washington University in St. Louis, Missouri, wurden die Teilnehmer gebeten, ihr Körpergewicht jeden Morgen an 7 aufeinanderfolgenden Tagen zu messen. Daten langen vor zu insgesamt 165 Wochen vor der Intervention (Baseline) und zu 437 Wochen während der Interventionsphase.

Vor der Intervention (Baseline) nahmen die Teilnehmer durchgehend an den Wochenend-Tagen zu (um 0,06 kg/Tag), nicht dagegen an den Wochentagen. Das konnte einer höheren Kalorienaufnahme an Samstagen und weniger körperlicher Aktivität an Sonntagen im Vergleich zu den Wochentagen zugeordnet werden. Während der Intervention war die Energiebilanz bei CR- und EX-Teilnehmern über die Woche negativ, aber am Wochenende unterbrachen die CR-Teilnehmer die Abnahme, und EX-Teilnehmer nahmen sogar zu (um 0,08 kg/Tag), aufgrund einer höheren Energieaufnahme während des Wochenendes.

Die Autoren ziehen den Schluss, dass Änderungen im Lebensstil am Wochenende zur Gewichtszunahme beitragen oder den Gewichtsverlust stoppen.

Diese Ergebnisse liefern nicht nur eine Erklärung für das relativ geringe Ausmaß des Gewichtsverlusts in vielen Studien, sondern sie betonen auch, wie wichtig es ist, die Kalorienaufnahme am Wochenende im Auge zu behalten (einfach mehr Aktivität ist nicht genug!).

Was bedeuten diese Daten für das langfristige Gewichtsmanagement?

Wahrscheinlich nicht viel. Sie erinnern sich, der Erhalt des Gewichts, vor allem die Prävention eines erneuten Gewichtsanstiegs, ist eine lebenslange Aufgabe. Macht man das an 5 von 7 Tagen richtig, ist das wahrscheinlich nicht so schlecht.

Der Blick auf die Waage am Montag sollte die Laune nicht verderben - bis Freitag ist Zeit, sich für das Wochenende zu wappnen.

Oder noch besser - wiegen Sie sich nur mittwochs, wenn Sie hoffentlich wieder auf dem richtigen Gleis sind. Nur, wenn das Gewicht an zwei aufeinanderfolgenden Wochenmitten ansteigt, muss man sich wieder auf seine Ziele besinnen.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 27. August 2008

Unrealistische Erwartungen garantieren Enttäuschung

Eines meiner Lieblingszitate lautet: "Keiner, der versucht das Unmögliche möglich zu machen, wird für sein Scheitern bewundert" .

Schon früher habe ich über unrealistische Erwartungen beim Gewichtsmanagement gebloggt. Einer der Hauptgründe für die erfolgreiche Einführung einer Orientierungsphase in unserem Weight Wise Programm war tatsächlich, die oft überzogen optimistischen Erwartungen der Patienten, wieviel Gewicht sie tatsächlich abnehmen und dann halten können, zu dämpfen.

Ein Großteil der Patienten hofft auf einen Gewichtsverlust von 50% des Ausgangsgewichts. Dagegen lautet die traurige Wahrheit, dass der durchschnittliche Patient selbst mit chirurgischer Behandlung "nur" etwa 25% abnimmt, jedenfalls, wenn alles gut läuft!

Warum ist es so wichtig, auf die Erwartungen einzugehen?

Weil unrealistische Erwartungen eine Enttäuschung garantieren (für die Mathematiker unter den Lesern: S=O/E, wobei S für Satisfaction [Zufriedenheit], O für actual Outcome [tatsächliches Ergebnis], E für Expectations [Erwartungen] steht; wenn S<1 ist der Patient unzufrieden oder enttäuscht).

Das Thema überzogene Erwartungen beschränkt sich nicht auf die Gewichtsabnahme. Janet Polivy (University of Toronto) nannte dies in einem sehr schönen Beitrag im International Journal of Obesity (2001 - PDF kostenfrei zum Download) das Syndrom der Falschen Hoffnung.

Im Kontext des Gewichtsmanagements ist dieses Syndrom durch oft grotesk unrealistische Erwartungen in folgenden Punkten charakterisiert:

1. wie viel Gewicht (auch auf Dauer) abgenommen werden kann

2. wie lange das dauert

3. wie schwierig es ist, den Lebensstil zu ändern

4. wie groß die Auswirkungen dieser Änderungen (Abnahme) auf andere, zumeist nicht gesundheitsbezogene Aspekte des Leben sind (z.B. besserer Job, attraktiver für mögliche Partner usw.)

Wenn irgend eine der hierbei herrschenden Erwartungen nicht erfüllt werden, ist das Ergebnis pure Enttäuschung, Entmutigung und das Gefühl des Versagens.

Daher ist jeder, der sich mit Gewichtsmanagement befasst, moralisch und ethisch verpflichtet, den Patienten auszureden, dass sie alle zu Kens und Barbies werden, wenn sie sich nur hart genug anstrengen.

Leider ist es für Gesundheitsanbieter sehr einfach, auf diese übertriebenen Erwartungen ihrer Patienten einzusteigen oder sie sogar noch zu wecken, indem sie das Unmögliche fordern und auch selbst erwarten. So wartet beispielsweise auf den Orthopäden, der von seinem Patienten erwartet, vor einem Hüftgelenkersatz 30% abzunehmen, geradezu ein Prozess wegen “mentalen Missbrauchs” (zumal die Evidenz dafür, dass adipöse Patienten von einer künstlichen Hüfte weniger profitieren als nichtadipöse Patienten, reichlich dünn ist).

Es gibt wenig Zweifel daran, dass einer der Hauptfaktoren für diese viel zu hohen Erwartungen die zahllosen kommerziellen Abnehm-Programme, Produkte, Bücher und Schwindel sind, die mit der Fantasie der Menschen Schindluder treiben, trotz der realen Tatsache, dass nur sehr wenige (wenn überhaupt irgend welche) Anwender dieser Produkte und Dienstleistungen tatsächlich irgend eines ihrer langfristigen Ziele erreichen. Erstaunlich, die Schwindler kommen ungestraft davon, weil die Anwender komischerweise dazu neigen, sich selbst die Schuld zu geben, statt das nutzlose Produkt oder den
Service für ihr Versagen verantwortlich zu machen. In den seltenen Erfolgsfällen dagegen war es natürlich das Programm, das den Erfolg gebracht hat.

So ist das natürlich für die Anbieter kein schlechtes Geschäft!

Bei ethischen Programmen erwarte ich an allererster Stelle, dass alle möglichen Anstrengungen unternommen werden, um das Syndrom der Falschen Hoffnung zu diagnostizieren und anzugehen, BEVOR die eigentliche Therapie beginnt. Das zu unterlassen garantiert ein Versagen, Enttäuschung und einen Relaps.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 26. August 2008

Antipsychotika und Essverhalten

Über den deutlichen Effekt von Antipsychotika der zweiten Generation (second generation antipsychotics/SGA) auf eine Gewichtszunahme habe ich bereits im Blog hingewiesen. In einem neuen Artikel von Melissa Blouin und Mitarbeitern der Laval University in Quebec City, in der August-Ausgabe von OBESITY erschienen, wird die Wirkung dieser Medikamente auf Appetit, Hunger, Sättigung, Esskontrolle und Nahrungsmittelpräferenzen bei Patienten unter SGA-Therapie (n=20) untersucht und mit Kontrollen (n=18) verglichen.

Nach einem standardisierten Frühstück hatten Patienten unter SGA-Therapie mehr Hunger, kontrollierten sich bewusster bei der Nahrungsaufnahme, empfanden eine geringere Disinhibition und ein stärkeres Hungergefühl als die Kontrollen. Im Gegensatz zu den Kontrollen war die Disinhibition bei den Patienten unter SGA im Wesentlichen von inneren Triggern ausgelöst. Obwohl Patienten unter SGA ein stärkeres strategisches Beherrschungsverhalten zeigten, berichteten sie über ein geringeres Sättigungsgefühl nach einer Buffet-Mahlzeit. Bei den Nahrungsmittelpräferenzen wurden keine Unterschiede gesehen.

Diese Studie hat einige interessante Blickwinkel. Die SGA-behandelten Patienten waren nicht nur sensibler gegenüber dem Hungergefühl, sondern sie kontrollierten auch bewusster ihre Nahrungsaufnahme, möglicherweise als eine Strategie zur Gewichtskontrolle. Das erklärt natürlich teilweise die Tatsache, dass sie sich nach einer Mahlzeit weniger satt fühlten als die Kontrollen.

Es ist bekannt, dass eine bewusste Zurückhaltung, das freiwillige Einschränken der Nahrungsaufnahme, eine Tendenz zum Zuviel-Essen bis hin zum suchtartigen Essen nach sich zieht, sobald die Restriktionen aufgehoben werden (z.B. soziale „Enthemmung“). Das Endergebnis ist paradoxerweise ein Gewichts(wieder)anstieg. Dieses gegenregulatorische Phänomen wurde von Janet Polivy (University of Toronto) eingehend beschrieben und zeigt im Wesentlichen, dass Nahrungsentzug bei Menschen, die sich einer Diät unterziehen (erzielt mit bewusster Nahrungsrestriktion) eine Neigung zum Zuvielessen nach sich zieht, und dies erklärt, warum eine langfristige Diät für kontrolliert Essende nicht funktioniert. Mit anderen Worten: Der Versuch, einfach weniger zu essen, um die Adipositas zu behandeln, ist zum Scheitern verurteilt!

Aus humanitärer Sicht scheinen die Patienten unter SGA-Therapie in einem Teufelskreis gefangen: Die Antipsychotika verändern das Essverhalten in Richtung höheres Gewicht – die Patienten versuchen, eine weitere Zunahme zu verhindern, indem sie bewusst ihre Nahrungsaufnahme einschränken – sie fühlen sich weniger gut gesättigt und essen schließlich noch mehr.

Kompliziert!

Wir wissen aus dieser Studie noch nicht, ob das abweichende Verhalten der Patienten an ihrer Medikation liegt oder an der Grundkrankheit. Eine dritte Gruppe von Probanden, deren Psychose mit älteren Antipsychotika behandelt wird, hätte diese Frage beantworten können.

Auf jeden Fall zeigt die Studie, dass wir sehr vorsichtig damit sein müssen, jemanden mit Adipositas für diesen Zustand einfach selbst verantwortlich zu machen. Denn diese Studie erinnert daran: eine Zunahme zu vermeiden, indem man einfach weniger isst, das ist oft geradezu das beste Rezept für eine langfristige Gewichtszunahme.

AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 25. August 2008

Noch ein Antisuchtmittel gegen Adipositas?

Über die enge Beziehung zwischen bestimmten Adipositas-Formen und Sucht habe ich schon häufiger im Blog geschrieben. Viele Patienten, die gegen Adipositas kämpfen, geben nicht nur offen eine "Esssucht" zu, sondern etliche Medikamente gegen Adipositas wie Rimonabant (ein CB-1 Rezeptorantagonist) oder Contrave (eine Kombination aus Buproprion und Naltrexon) sprechen auch gezielt das neuronale Netz der suchtverantwortlichen Syteme im Gehirn an.

Eine neue Ergänzung mit diesem Ansatz könnte Gaba-Vinyl-GABA (GVG) oder Vigabatrin werden, ein Antiepileptikum, das derzeit in Phase II für Patienten mit Kokain- und Methamphetaminabhängigkeit untersucht wird.

In einer Studie von Amy deMarco und Mitarbeitern, Brookhaven National Laboratory in Upton/NY, in der Zeitschrift Synapse letzte Woche erschienen, führte Vigabatrin dosisabhängig zu einer Gewichtsreduktion um 12-20% bei Sprague-Dawley- sowie bei nahezu ausgewachsenen und adulten Zucker-Fatty-Ratten.

Vigabatrin ist ein irreversibler Inhibitor der Gamma-Aminobuttersäure-Transaminase (GABA-T), dem Enzym, das für den Katabolismus des inhibitorischen Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Gehirn verantwortlich ist. n the brain. Der Wirkmechanismus von Vigabatrin wird der irreversiblen Enzyminhibition von GABA-T und in der Folge erhöhten Spiegeln am hemmenden Neurotransmitter GABA zugeschrieben.

In Kanada ist Vigabatrin als Sabril von Ovation Pharmaceuticals Inc für die zusätzliche Behandlung bei Epilepsie auf dem Markt, die sich durch konventionelle Therapie nicht ausreichend beherrschen lässt.

Die häufigsten neurologischen Nebenwirkungen schließen Schläfrigkeit, Beeinträchtigung des peripheren Gesichtsfeldes und ein erhöhtes Krampfrisiko ein. Auch über einen Anstieg der Leberenzyme wurde berichtet.

Wie die klinischen Studien zu dieser Substanz bei Adipositas herauskommen, wird interessant sein. Offenbar hat Brookhaven Labs die Lizenz an Catalyst Pharmaceutical Partners (Coral Gables, Florida) erteilt, die es bei suchtartigem Essen (binge-eating disorder, BED) prüfen wollen.

Warum die Forscher (und Catalyst Pharmaceuticals) glauben, dass ausgerechnet BED-Patienten die beste Population sind, um Vigabatrin zu testen, ist mir nicht klar, da diese Störung (siehe meine früheren Blogs) gut auf kognitive Verhaltenstherapie anspricht und sich nicht unbedingt mit den typischen Merkmalen einer Suchtkrankheit äußert. Eines der Hauptcharakteristika der BED ist gerade das Gefühl von Verzweiflung und Versagen nach einer Essattacke, ganz das Gegenteil des "High", das Drogenkonsumenten erleben.

Jedenfalls scheinen mir Patienten mit BED die am wenigsten gut geeigneten Patienten innerhalb der Adipositas-Population zu sein, die auf ein Suchtmedikament ansprechen. Aber wer weiß, vielleicht stellt sich bald das Gegenteil heraus (ich korrigiere mich da gern).

AMS
Edmonton, Alberta

Freitag, 22. August 2008

Kostet Adipositas die Kanadier 95 Milliarden Dollar?

Australien und Kanada haben vieles gemeinsam. Beide sind große hochindustrialisierte und urbanisierte Länder mit recht hohem Lebensstandard und relativ kleiner Population (20 Millionen in Australien; 33 Millionen in Kanada).

Auch die Adipositasraten sind vergleichbar hoch: etwa 16-18% bei Erwachsenen und 8-10% bei Kindern und Jugendlichen.

Was kostet die Adipositas diese Länder? Die neuesten Zahlen für Kanada habe ich nicht, aber ein Bericht, den das führende australische Wirtschaftsberatungsunternehmen Access Economics diese Woche veröffentlichte, schätzt die Gesamtkosten der Adipositas in Australien für 2008 auf 58,2 Milliarden Dollar.

Wenn man annimmt, dass die Kosten der Adipositas in Australien nicht sehr viel anders liegen als in Kanada, würde das hochgerechnet auf die größere Bevölkerung für Kanada etwa 95 Milliarden bedeuten [und 300 Milliarden für die deutschsprachigen Länder].

Weil es innerhalb der Gesundheitssysteme doch einige wesentliche Unterschiede geben könnte, wäre ich bereit, die eine oder andere Milliarde herauszurechnen.

Aber das ändert nichts daran, dass diese atemberaubende Zahl sehr weit von jeder anderen Schätzung der Adipositas-Kosten in Kanada, die ich je gehört habe, abweicht. Am häufigsten wird eine Zahl um 3,5 Milliarden Dollar herumgereicht. Sie get auf eine Schätzung der direkten und indirekten Gesundheitskosten der Adipositas zurück, die 1997 in Kanada publiziert wurde.

Diese Zahlen werden zwar allgemein akzeptiert, aber angesichts der heutigen Adipositas-Raten sind sie lächerlich gering. Die Zahlen für Kanada, die man von den Australischen 2008-Daten extrapolieren kann, liegen über 20-mal so hoch. Das liegt zum einen an der Zunahme der Adipositas im letzten Jahrzehnt und zum anderen an der anderen und ausführlicheren Methodologie, welche die Australischen Ökonomen verwendeten.

Welche Zahlen genau lieferte Access Economics für die Adipositas-Kosten in Australien?

- Die Kosten der Adipositas im Jahr 2008 wurden mit 8,283 Mrd. $ geschätzt. Davon entfielen etwa 3,6 Mrd. (44%) auf Produktivitätskosten, 2,0 Mrd. (24%) auf Gesundheitssystemkosten und 1,9 Mrd. (23%) auf Kosten der Gesundheitsanbieter.

- DWL von Transfers (entgangene Steuern, Wohlfahrts- und anderen Regierungszahlungen) betrugen 727 Millionen Dollar (9%), andere indirekte Kosten beliefen sich auf 76 Millionen $ (1%).

- Die Nettokosten für den Verlust an Wohlbefinden (der Dollarwert für die Krankheitsbelastung, die Kosten des Einzelnen) wurden mit 49,9 Mrd. $ berechnet, sodass sich die Gesamtkosten der Adipositas im Jahr 2008 auf 58,2 Mrd. belaufen.

- Von den Kosten waren 29,4% vom Einzelnen zu tragen, 19,2% von Familie und Freunden, 34,3% von der Landesregierung (2,8 Mrd. pro Jahr), 5,1% von der Bundesregierung, weniger als 0,1% von Arbeitgebern und 11,8% von der übrigen Gesellschaft. Wenn man jedoch die Kosten für das Wohlbefinden einschließt, steigt der Anteil des Einzelnen auf 90,0% des Gesamten.

Der vollständige Bericht kann hier herunter geladen werden.

Ich bin kein Finanzgenie, aber 95 Mrd. Dollar klingen nach sehr viel Geld. Wenn die Experten bei Access Economics nicht völlig daneben liegen oder wenn Kanada nicht völlig anders als Australien ist, dann ist das Adipositas-Problem sehr viel teurer, als die meisten Kanadier (die Regierung eingeschlossen) vermuten.

Wie ich schon mehrfach im Blog betont habe: die wirklichen Kosten der Adipositas fallen nicht bei der Gesundheitsversorgung an - sie bestehen im Verlust des Wohlbefindens und im Verlust der Produktivität unserer gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitenden.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 21. August 2008

Pro und Contra Computerspiele

Generell erwartet man wohl, dass ein Adipositas-Blog auf Videospielen herumhackt. Heute mal nicht!

Der folgende Text bezieht sich auf einen kürzlich erschienenen Text in einem meiner Lieblings-Blogs: MedGadgets (jeder, der sich für High-Tech-Medizin interessiert, muss sich hier unbedingt einschreiben!).

Laut diesem Blogeintrag stellt die American Psychological Association einige Studien heraus, die am diesjährigen Kongress der APA diskutiert wurden und zeigten, dass Computerspiele sowohl positive als auch negative Auswirkugen auf die Spieler haben.

Einige der zentralen Ergebnisse lauten:

1. Bei Fünft-, Sechst- und Siebtklässlern konnten Computerspiele die kognitiven und Wahrnehmungsfähigkeiten verbessern.

2. Schüler von High Schools und College-Studenten, die gewalttätige Videogames spielten, waren feindseliger, nachtragender und hielten Gewalt eher für normal als andere, die sich mit nichtgewalttätigen Spielen beschäftigten. Spieler von "sozialen" Spielen verwickelten sich seltener in Handgreiflichkeiten in der Schule und halfen anderen Studenten eher.

3. Laut weiteren Studien schnitten Schüler, die mehr Unterhaltungsspiele spielten, schlechter in der Schule ab und hatten ein höheres Adipositas-Risiko.

4. Eine Studie bei 33 laparoskopisch arbeitenden Chirurgen fand, dass Videospieler 27% schneller bei komplizierteren Eingriffen waren und 37% weniger Fehler machten als die Nichtspieler. Fortgeschrittene Fähigkeiten im Videospiel und Erfahrung sind signifikante Prädiktoren für die Geschicklichkeit bei der Naht.

5. Eine zweite Studie bei 303 laparoskopisch arbeitenden Chirurgen (82% Männer, 18% Frauen) erbrachte ebenfalls eiin interessantes Resultat: Wenn sich Chirurgen mit Computerspielen befassten, die räumliche Vorstellung und Handgeschicklichkeit erforderten, ergab ein Bohrtest, dass sie hierin signifikant schneller abschnitten - schon bei ihrem ersten Versuch und bei allen 10 dieser Tests - als Chirurgen, die nicht am PC spielten.

6. In einer anderen Stude fanden Forscher, dass Lernen durch Spiele Lehrbücher und Experimente ergänzen kann, wenn es darum geht, das wissenschaftliche Denken zu fördern.

Machen Sie sich auf MedGadgets selbst ein vollständiges Bild!

Es gibt also offensichtlich zwei Seiten bei Videospielen:

Wenn Sie adipös sind, wollen Sie sicher einen Bogen um Videospiele schlagen. Aber wenn Sie einen bariatrischen Eingriff in Erwägung ziehen, sollten Sie einen Chirurgen finden, der gerne seine Zeit mit Computerspielen vergeudet!

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 20. August 2008

Adipositas ist unfair zu Frauen

Im neuesten Scientific Statement der American Heart Association zur bevölkerungsweiten Prävention weckte eine Passage über Geschlechtsunterschiede meine Aufmerksamkeit. Der Grundtenor lautete: Obwohl Frauen sich viel bewusster mit gesundem Essen und ihrem Gewicht auseinander setzen, ist die Adipositasprävention für sie wohl schwieriger als für Männer.

Die Gründe dafür:

1. Der Kalorienbedarf von Frauen ist im Durchschnitt geringer als der von Männern, weshalb sie für eine ausgewogene Energiebilanz weniger essen können als Männer. Das ist zum Beispiel ein Nachteil beim Auswärts-Essen, weil die Portionen im Restaurant oder Take-away für Frauen und Männer gleich groß sind (Frauen wie Männer neigen dazu, ihre Teller feinsäuberlich leer zu essen!).

2. Wegen ihres geringeren Kalorienbedarfs ist die unbeabsichtigte Aufnahme von ein paarhundert Extrakalorien für die Energiebilanz von Frauen folgenreicher als für Männer.

3. Einen Kalorienüberschuss durch körperliche Aktivität loszuwerden, ist für Frauen wegen ihrer geringeren Körpergröße und ihrem deutlich geringeren Anteil an fettfreier Körpermasse schwieriger.

4. Depression ist häufig mit Zuvielessen und Zunahme korreliert, sowohl aufgrund der Tendenz, die Stimmung mit Nahrungsmitteln aufzuhellen als auch wegen der adipogenen Wirkung vieler Antidepressva. Eine Depression ist bei Frauen deutlich häufiger als bei Männern. Zudem berichten mehr Fraue als Männer über ein Zuvielessen bei Stress.

5. Frauen entfalten weniger Freizeitaktivitäten als Männer, bereits ab der Adoleszenz. Außerdem sind die Gelegenheiten für körperliche Aktivitäten für Frauen viel begrenzter, aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen und auch, weil sie mehr Angst um ihre Sicherheit haben. Das wirkt sich auf ihre zeitlichen Kapazitäten und die Wahl der möglichen Orte für Sport oder Bewegung aus.

6. Sozial akzeptable Formen körperlicher Aktivität könnten für Frauen stärker eingeschränkt sein als für Männer, besonders in bestimmten ethnischen Gruppen. Soziale Bedenken können beispielsweise die Ablehnung durch Partner oder ander Haushaltsmitglieder sein, weil Sport hier als etwas wahrgenommen wird, das die Frau von ihren familiären Pflichten abhält.

7. Aktivität im Rahmen des Berufs ist ebenfalls bei Frauen häufig geringer.

8. Frauen unterziehen sich häufiger einer Diät oder erleben größere Gewichtsschwankungen, beides Risikofaktoren für eine Zunahme auf lange Sicht.

9. Bei Frauen besteht das Risiko, dass sie nach einer Schwangerschaft ein Teil des zugelegten Gewichts behalten.

Das sind genug Gründe, warum es für Frauen viel schwieriger als für Männer ist, eine Gewichtszunahme zu verhindern. Daran sollte man denken, wenn man weibliche Patienten berät.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 19. August 2008

Adipositas ist ein Zeichen, Zuviel-Essen ein Symptom

Viele Blog-Leser kennen die gegenwärtige und vermutlich nie endende Debatte darüber, ob Adipositas ein Risikofaktor, eine Krankheit, eine Störung oder einfach ein Extrem in der Normalverteilung des Körpergewichts ist. Heute will ich einen weiteren Begriff in den Ring werfen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto stärker bin ich davon überzeugt, dass wir Adipositas als ein klinisches Zeichen ansehen sollten, so wie zum Beispiel ein Ödem. In gleicher Art, wie ein Ödem eine übermäßige Flüssigkeitsansammlung signalisiert, zeigt Adipositas die übermäßige Ansammlung von Körperfett an. So wie das Ödem das klinische Zeichen einer Störung in der Flüssigkeitshomöostase ist, so ist übermäßiges Fett eine Störung der Energiebilanz.

Bei einem Patienten mit Ödem können wir natürlich einfach auf eine symptomatische Therapie setzen, wie Restriktion der Salz- und Flüssigkeitsaufnahme. Aber vermutlich werden erfahrene Kliniker her verstehen wollen, ob die Flüssigkeitsretention auf einer unzureichenden Herzfunktion, Nierenversagen, venöser oder lymphatischer Insuffizienz, Vasodilatatoren oder anderen möglichen Ursachen beruht.

Ähnlich können wir auch bei einem Patienten mit übermäßigem Körperfett einfach eine symptomatische Behandlung verschreiben, wie eine reduzierte Nahrungsaufnahme oder gesteigerte Aktivität, oder wir können versuchen, den Faktoren auf den Grund zu gehen, die den Patienten veranlassen, zuviel zu essen oder sich zu wenig zu bewegen. Ob das Zuvielessen Folge von sozialem Druck, Hunger (Auslassen von Mahlzeiten), Depression, suchtartigem Essen, Olanzapin, Zucker-"Sucht", MC-4-Rezeptordefekt oder einem Kraniopharyngeom ist, kann die Wahl der Behandlung wohl beeinflussen.

Auch ob der Bewegungsmangel auf einem Zeitproblem, Wohnen in unsicheren Stadtvierteln, obstruktiver Schlafapnoe, Angstörungen, Depression, Rückenschmerzen, Fibromyalgie, plantarer Fasziitis, vitaler Erschöpfung oder einer Querschnittslähmung beruht, wird (hoffentlich) entscheidend dazu beitragen, welche Behandlungsstrategie als die am besten geeignete und wirksame ausgewählt wird.

Die Vorstellung, dass sämtliche Menschen mit zuviel Fett einfach weniger essen und sich mehr bewegen sollen, entspricht dem Gedanken, alle Menschen mit Ödem sollten einfach ihre Flüssigkeits- und Salzaufnahme reduzieren.

Wenn Adipositas einfach ein klinisches Zeichen ist, dann sind Zuviel-Essen und Bewgungsmangel nichts anderes als Symptome!

Die Differenzialdiagnose von Zuviel-Essen und zuwenig Bewegung ist komplex und kann soziokulturelle, psychologische, medizinische und iatrogene Ursachen einschließen.

Wir sollten unsere Diagnostik differenzierter und überlegter anlegen. Es ist zu hoffen, dass unsere Fähigkeiten, die zugrundeliegenden Ursachen erfolgreicher anzugehen, dem folgen werden.

AMS
Edmonton, Alberta

Adipositas-Therapie ist eine Behandlung "für immer"

Jeder, der chronische Krankheiten behandelt, weiß, wie schwer es den Patienten fällt, selbst die einfachsten medizinischen Therapien zu befolgen - zum Beispiel eine Tablette pro Tag einzunehmen. Noch schwieriger ist das für Patienten mit psychiatrischen Auffälligkeiten (die über 40% der Patienten betreffen, die eine Adipositas-Behandlung wünschen). Weniger als die Hälfte der Patienten, denen ein Antidepressivum verordnet wurde, nehmen es drei Monate nach Behandlungsbeginn noch ein. Bei bipolarer Störung sinkt dieser Anteil sogar auf 35%.

Pharmakologische Adipositas-Studien erbringen regelmäßig hohe Abbruchraten (um 20-40% nach 12 Monaten). Das unterscheidet sich kaum von dem, was im Alltag bei Blutdruck- oder lipidsenkenden Medikationen zu beobachten ist.

Wenn es schon so schwer ist, regelmäßig eine einzige Tablette einzunehmen, wieviel schwieriger ist es dann, sogar den Lebensstil zu ändern und dabei auch zu bleiben? Ohne Frage brauchen Patienten, die mit übermäßigem Gewicht kämpfen, ein ständiges Coaching, Erinnerungen, Selbstkontrollen und Unterstützungssysteme. Überlässt man sie ihren eigenen Möglichkeiten, wird die große Mehrheit der Patienten in die alten Gewohnheiten zurück fallen und wieder zunehmen.

Wie ich oft sage, gibt es nur zwei Arten von adipösen Patienten - die unbehandelten und die behandelten. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen ist die Tatsache, dass sich die Patienten in der Behandlungsgruppe aktuell um ihr Gewicht kümmern. Wenn die Behandlung endet, wird Gruppe 2 wieder zu Gruppe 1, das Gewicht steigt also wieder oder weiter an - ohne Ausnahme!

Wie bei anderen chronischen Krankeiten besteht die große Herausforderung bei der Adipositas nicht darin, die Patienten dazu zu bewegen, mit einer Behandlung anzufangen. Die Herausforderung besteht darin, wie man die Patienten dazu bringt, für immer die Behandlung zu befolgen.

AMS
Edmonton, Alberta

Schematic: World Health Organization, 2003

Samstag, 16. August 2008

Pillen funktionieren nicht bei Patienten, die sie nicht schlucken

Der Titel des heutigen Beitrags ist angeblich ein Zitat von Dr. C. Everett Koop (Bild).

Ich bin so frei, die Aussage etwas zu modifizieren: “Therapien für chronische Krankheiten funktionieren nur so lange, wie sie angewendet werden" (Sie können mich entsprechend zitieren :o) ).

Warum ich mit diesem Thema komme? a) weil Adipositas eine chronische Krankheit ist und b), weil das Gewicht immer zurück kommt, sobald die Behandlung aufhört.

Vereinfacht gesagt besteht das Problem der Adipositas-Behandlung nicht darin, wie man abnehmen soll - das einzig wirkliche Problem besteht darin, wie man das Gewicht unten hält.

Die Lösung ist natürlich einfach (und inzwischen hoffentlich allen regelmäßigen Lesern dieses Blogs bekannt): Beenden Sie die Behandlung nicht, wenn der Patient abgenommen hat!

Einfacher gesagt als getan. Aber für die Adipositas gilt hier nichts Spezielles. Tatsächlich ist die Therapietreue der Patienten bei allen chronischen Krankheiten ein Problem - seien es nun Diabetes, Hypertonie oder rheumatoide Arthritis. Sobald die Behandlung endet, meldet sich die "Krankheit" wieder zurück (nebenbei bemerkt, das ist die Definition einer chronischen Krankheit!).

Angesichts der Tatsache, dass die mangelnde Adhärenz ein so verbreitetes Problem ist, wäre es überraschend, wenn dieses Thema nicht schon untersucht worden wäre. Ein sehr lesenswerter und wichtiger Beitrag hierzu ist ein Artikel von Lars Osterberg und Terrence Blaschke, 2005 im New England Journal of Medicine publiziert. Obwohl sich diese Studie mit der Adhärenz gegenüber Medikamenten befasst, treffen die Prinzipien auch für nichtpharmakologische Behandlungen zu.

Besonders interessant sind die Hauptprädiktoren für eine geringe Therapietreue, wie sie in der Arbeit aufzählt werden (jeder Punkt ist im Beitrag referenziert):

1. Psychologische Probleme, besonders Depressionen (ich würde noch die Attention Deficit Disorder/Aufmerksamkeitsstörung ergänzen)

2. Kognitive Beeinträchtigung

3. Asymptomatische Krankheit

4. Unzureichend geplante Nachfolgetermine oder Entlassung

5. Nebenwirkungen

6. Mangelnder Glaube des Patienten an einen Nutzen der Behandlung

7. Mangelne Patienteneinsicht in die Krankheit

8. Unzureichende Beziehung zwischen Therapeut und Patient

9. Hürden gegenüber der Versorgung oder Behandlung

10. Ausgelassene Termine

11. Komplexe Therapie

12. Kosten oder Zuzahlung

Alle diese Punkte treffen auch auf die Adipositas-Behandlung zu. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, Zeit zu investieren, um herauszufinden, aufgrund welcher der genannten Punkte Ihr Patient aus der Behandlung fällt - einfach dem Patienten die Schuld zu geben oder ihm Angst zu machen, das sind keine Lösungen.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 14. August 2008

Nutzt regelmäßig Wiegen für eine bessere Gewichtskontrolle?

Einige Leser sind jetzt wohl verwirrt. In einem früheren Blog schrieb ich, das Gewicht sei kein besonders gutes Maß für Gesundheit (ich nannte es nur eine Ziffer auf einer Skala), andererseits habe ich Anfang dieser Woche empfohlen, als Hilfe für eine Gewichtskontrolle, den Patienten regelmäßig monatliche Termine zum Wiegen anzubieten.

Hier scheint eine nähere Erklärung angebracht.

Ja, das Gewicht ist nur eine Ziffer auf einer Skala und nicht gerade das verlässlichste Kriterium für die Gesundheit des Patienten (ebenso wenig wie der BMI).

Wenn aber andererseits übermäßiges Gewicht wirklich die Gesundheit des Patienten beeinträchtigt (meine Definition der Adipositas) und wenn man mit einer Adipositas-Behandlung beginnt, dann ist das Gewicht selbstverständlich ein wichtiges Maß dafür, ob die Therapie überhaupt anschlägt.

Hilft also das regelmäßige Wiegen den Patienten, ihr Gewicht in den Griff zu bekommen?

Die entscheidende Studie zu diesem Thema ist wohl die von Rena Wing und Mitarbeitern, Brown Medical School, Providence, USA. Sie berichteten im New England Journal of Medicine 2006, dass über eine 18-monatige Beobachtungsperiode bei Patienten mit einer durchschnittlichen Abnahme von 19 kg das tägliche Selbstwiegen mit einem verminderten Risiko verbunden war, mindestens 2,3 kg wieder zuzunehme.

Regelmäßiges Wiegen trägt also dazu bei, eine Zunahme zu verhindern. In einer weiteren Studie zeigten Wing und Kollegen, dass das tägliche Wiegen keine unerwünschten Wirkungen hatte, sondern im Gegenteil eine verbesserte Zurückhaltung bei der Ernährung, verminderte Hemmungslosigkeit und verminderte depressive Symptome (Journal of Consulting and Clinical Psychology 2007).

Trotz dieser Studie meine ich, dass das tägliche Wiegen für einige Menschen einen Tick zu häufig ist.

Yoni Freedhoff diskutierte die NEJM-Studie anlässlich ihres Erscheinens in seinem Blog Weighty Matters:
“Tatsache ist, dass das Gewicht ziemlich dramatisch schwanken kann, aufgrund einer Flüssigkeitsretention, Verstopfung oder Kleidung; daher kann tägliches Wiegen manchmal unglaublich entmutigend sein, wenn man das Gefühl hat, alles richtig gemacht zu haben, aber die Skala zeigt einen Gewichtsanstieg an.

Ich empfehle in der Regel für die Phase der Gewichtsabnahme das einmal wöchentliche Wiegen, unbekleidet, am Mittwoch Morgen (um einen Puffer für das Wochenende zu haben), und so lange ich noch nicht weißk, was das Huhn und was das Ei in der Erhaltungsphase ist, empfehle ich meinen Patienten, sobald die Gewichtsabnahme aufgehört hat, sich täglich zu wiegen und den Trend zu beobachten, weil das sehr hilfreich ist.

In seine Blog warnt Freedhoff auch vor der „Wiegesucht“. Ich kann bestätigen, dass das bei manchen Patienten ein Problem ist.

Deshalb meine ich, dass eine wöchentliche Gewichtskontrolle durch den Patienten selbst während der Abnehmphase, tägliches Wiegen in der Erhaltungsphase und monatliches Wiegen beim Arzt (in beiden Phasen) der goldene Mittelweg ist, der wahrscheinlich dem Patienten am ehesten hilft, auf der richtigen Schiene zu bleiben.

AMS
Edmonton, Alberta

Dienstag, 12. August 2008

Funktionieren Schrittzähler?

Der gestrige Blog-Eintrag provozierte etliche E-Mail-Antworten (warum sind die Leute eigentlich immer noch zu schüchtern für Kommentare direkt auf der Seite?).

Ein Leser fragte, ob es belegt ist, dass die Aufforderung an die Patienten, einen Schrittzähler (Pedometer) zu verwenden, irgend etwas bringt.

Die schlichte Antwort lautet: Ja!

Diese Antwort fußt auf einer Metaanalyse für Bewegungs-Interventionen auf Grundlage eines Schrittzähler-Gebrauchs. Diese Metaanalyse von Caroline Richardson und Kollegen der University of Michigan erschien dieses Jahr in den Annals of Family Medicine.

Für diese Metaanalyse durchsuchten Richardson und Mitarbeiter sechs elektronische Datenbanken und kontaktierten Pedometer-Experten, um Bewegungsstudien auf Schrittzähler-Basis zu identifizieren, die eine Gewichtsänderung als Endpunkt hatten, ohne eine Ernährungsintervention zu beinhalten. Für neun Studien trafen diese Einschlusskriterien zu. Die Zahl der eingeschlossenen Probanden reichte von 15 bis 106, insgesamt waren 307 Teilnehmer eingeschlossen, 73% Frauen und 27% Männer. Die Dauer der Intervention erstreckte sich von 4 Wochen bis zu einem Jahr, mit einer medianen Dauer von 16 Wochen.

Die gepoolte Schätzung der mittleren Gewichtsabnahme ab Studienbeginn mit einem Fixed-Effects-Modell und Kombination der Daten aus allen 9 Kohorten betrug -1,27 kg (95% Vertrauensintervall: -1,85 bis -0,70 kg). Eine längere Interventionsdauer war mit einer größeren Gewichtsveränderung assoziiert. Im Durchschnitt verloren die Teilnehmer unter der Intervention 0,05 kg pro Woche.

Schrittzähler-gelenkte Laufprogramme resultieren also tatsächlich in einem bescheidenen Gewichtsverlust, wobei längere Programme zu einer größeren Abnahme führen als kürzere Programme.


Das sind zwei wichtige Botschaften:

1. Für sich genommen sind Schrittzähler kaum die bedeutendste Adipositas-Intervention (sogar noch intensivere Bewegung wird für sich allein als Abnahmestrategie überschätzt, trotz ihrer vielen gesundheitlichen Vorteile).

2. Wie mit allen Adipositas-Strategien sollte jede Intervention ein lebenslanges Ziel sein. Die Verwendung von Pedometern für ein paar Wochen oder Monaten ist wahrscheinlich unnütz, da das Gewicht in der Minute wieder zu steigen beginnt, in der man den Schrittzähler nicht mehr benutzt.


Falls sich jemand fragt: "Wozu der Aufwand, wenn die Abnahme so bescheiden ausfällt?": Der springende Punkt ist nicht die Abnahme, sondern dass jede dauerhafte Steigerung der körperlichen Aktivität eine Gewichtszunahme besser verhindern kann als eine Strategie, die nur auf Kalorienrestriktion setzt. Ein Pedometer ist eben die einfachste Methode für eine objektive Eigenkontrolle der Aktivität (sicher, Beschleunigungsmesser sind noch besser, kosten aber auch zehn- bis hundertmal so viel).


Tipp: Empfehlen Sie Ihren Patienten, in ein vernünftiges Modell zu investieren. Je billiger, desto anfälliger für Ungenauigkeit und Frustration - ein gutes Modell kostet mindestens 15 Euro - gut angelegtes Geld!


AMS
Edmonton, Alberta

Montag, 11. August 2008

Adipositas-Management in der Grundversorgung

Allgemeinmediziner haben alle Hände voll zu tun. Sie haben wenig bis keine spezielle Ausbildung im Adipositas-Management.

Das Folgende betrachte ich als das Minimum für ein Adipositas-Management, einfach umsetzbar in einer brummenden Praxis (selbst ohne Adipositas-Expertise):

1. Konfrontieren Sie den Patienten nicht mit Anschuldigungen, Druck oder angsteinflößenden Szenarien!

2. Schlagen Sie ihm keine völlig unrealistischen Abnehmziele vor und ermuntern Sie ih auch nicht, solche zu verfolgen! (Für die meisten Patienten sind 5-10% Abnahme realistisch, aber selbst das ist unglaublich schwer zu halten!)

3. Erklären Sie jedoch dem Patienten die Risiken von Übergewicht und Adipositas, und bringen Sie ihm bei, dass die Adipositas eine chronische Angelegenheit wird, sobald sie einmal aufgetreten ist (=jede funktionierende Behandlung muss lebenslang befolgt werden!).

4. Ermutigen Sie Ihren Patienten, regelmäßig zu essen (besonders zu frühstücken!) und ein Ernährungstagebuch zu führen. (Für die meisten Menschen liegt der Schlüssel zum Nicht-Zunehmen darin, nicht hungrig zu werden). Bei emotionalem oder suchtmäßigem Essen hilft es auch, die Emotionen im Zusammenhang mit dem emotionalen Essen zu notieren.

5. Ermutigen Sie den Patienten, mehr Kenntnisse über den Kaloriengehalt von Nahrungsmitteln und Getränken zu gewinnen.

6. Empfehlen Sie, "flüssige Kalorien" zu reduzieren.

7. Empfehlen Sie mindestens 30-60 Minuten körperlicher Aktivität täglich sowie den Gebrauch eines Schrittzählers. Die damit gezählten Schritte sollen im Ernährungstagebuch notiert werden.

8. Empfehlen Sie regelmäßiges Wiegen in der Praxis (mindestens einmal im Monat).

9. Beenden Sie das alles nicht, wenn der Patient nicht weiter abnimmt - die erneute Zunahme zu verhindern, kostet einen noch höheren Aufwand (und mehr Unterstützung) als die Abnahme!

10. Behandeln Sie den "Rezidivismus" genauso, wie es dieser Terminus umschreibt - ein natürliches und erwartetes Phänomen bei einer chronischen Krankheit - beginnen Sie wieder bei Schritt 3.

Bei jeder Konsultation sind folgende Punkte zu beachten und anzusprechen:

1. jede Lebensstiländerungen seit dem letzten Besuch

2. jede Änderung in den Essgewohnheiten seit dem letzten Besuch und achten Sie auf das Führen des Ernährungstagebuchs

3. die aufgenommenen "flüssigen Kalorien"

4. emotionales Essen/Snacken

5. körperliche Aktivität und den Gebrauch des Schrittzählers

6. Gewichtsänderungen (ohne sie zu bewerten!)

- bei Zunahme: betonen Sie, wie wichtig es ist, eine Änderung zu überdenken.

- bei stagnierendem Gewicht: loben Sie den Einsatz, ermutigen Sie zu einer Änderung, ziehen Sie Mahlzeitenersatz (Meal Replacement) oder Medikamente in Betracht.

- bei Abnahme: loben Sie, aber geben Sie auch eine Vorwarnung, dass der Gewichtsverlust kaum genauso fortschreiten wird wie im Augenblick, sprechen Sie über die Erwartungen (5-10% Abnahme als Ziel), fokussieren Sie auf eine Verbesserung von Gesundheit und Lebensqualität stärker als auf Abnahme.

Es liegt auf der Hand, dass dies nur das Minimalprogramm ist. Wäre Adipositas-Management so einfach, hätten wir keine Adipositas-Krise.

AMS
Edmonton, Alberta

Freitag, 8. August 2008

Geht Adipositas an die Nieren?

Die Nieren sind sehr empfindlich gegenüber vielen Risikofaktoren, die auch Atherosklerose und Herzkrankheiten beschleunigen können. So sind beispielsweise hoher Blutdruck und Diabetes gut dokumentierte Risikofaktoren für eine chronische Nierenkrankheit (chronic kidney disease, CKD).

Weil sowohl Hypertonie als auch Diabetes ihrerseits wiederum mit Adipositas verknüpft sind, stellt sich die Frage, ob Adipositas das Risiko für CKD steigert.

Dieser Frage gingen Meredith Foster und Mitarbeiter vom National Heart, Lung, and Blood Institute in Framingham (USA) nach. Sie untersuchten die Beziehung zwischen der CKD im Stadium 3 (= moderat herabgesetzte Nierenfunktion) und dem BMI bei den Framingham Offspring-Teilnehmern (n = 2,676; 52% Frauen, mittleres Alter 43 Jahre), die zu Studieneinschluss noch keine CKD im Stadium 3 hatten und die an den Untersuchungszyklen 2 (1978-1981) und 7 (1998-2001) teilnahmen. (Am J Kidney Dis)

Während sich bei übergewichtigen Teilnehmern kein erhöhtes Risiko für Nierenkrankheiten beobachten ließ, war das Risiko für die Entwicklung einer CKD im Stadium 3 (geschätzte glomeruläre Filtratoinsrate <59 ml/min/1.73 qm für Männer, 64 ml/min/1.73 qm für Frauen) bei adipösen Personen um 68% erhöht.

Diese Beziehung wurde jedoch nichtsignifikant, wenn die Daten hinsichtlich Diabetes, systolischem Blutdruck, Hypertoniebehandlung, aktuellem Rauchverhalten und HDL-Cholesterinspiegel korrigiert wurden.

Die Autoren schlussfolgern richtig, dass die Verknüpfung zwischen Adipositas und CKD im wesentlichen durch den Effekt der Adipositas auf andere kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Hypertonie oder Diabetes erklärt wird.

Wenn übermäßiges Gewicht den Blutdruck erhöht oder zu Diabetes führt, dann muss man sich ganz klar auch um die Nieren Sorgen machen.

AMS
Edmonton, Alberta

Donnerstag, 7. August 2008

Jugendlichen-Adipositas tötet im mittleren Alter

Ja, es gibt die Adipositas-Epidemie der Kinder und Jugendlichen. Man spricht landläufig von der „ersten Generation von Kindern, die nicht länger leben wird als ihre Eltern“.

Ist das aber wahr? Wo sind die Daten, die zeigen, dass die Adipositas in der Kindheit wirklich einen Risikofaktor für vorzeitigen Tod darstellt?

Diese Frage hat jetzt Tone Bjørge mit Mitarbeitern von der Universität Bergen (Norwegen) beantwortet, mit vielleicht der größten Studie, die bisher zu diesem Thema publiziert worden ist. Sie erschien gerade imAmerican Journal of Epidemiology.

Bjørge und Koautoren untersuchten die Beziehung zwischen BMI (gemessene Größe und Gewicht) und Mortalität bei 227 000 Adoleszenten (14-19 Jahre), die in norwegische Beobachtungsstudien zwischen 1963 und 1975 aufgenommen worden waren. Während der Nachbeobachtung mit 8 Millionen Personenjahren wurden 9650 Todesfälle beobachtet. Verglichen wurde die ursachenspezifische Mortalität bei Personen mit einem BMI zu Studienbeginn unter der 25. Perzentile, zwischen der 75. und 84. Perzentile und über der 85. Perzentile in einer Referenzpopulation aus den USA mit der von Individuen, deren BMI zwischen der 25. und 75. Perzentile lag.

Das Risiko für einen Tod an endokrinen, durch die Ernährung und metabolisch verursachten Krankheiten und von Erkrankungen des Herzkreislaufsystems war in den beiden höchsten BMI-Kategorien für beide Geschlechter erhöht. Das relative Risiko für einen Tod an ischämischer Herzkrankheit lag bei 2,9 für Männer und bei 3,7 für Frauen in der höchsten BMI-Klasse, verglichen mit der Referenzpopulation. Auch zeigte sich ein erhöhtes Risiko für Kolonkarzinom (Männer: 2,1, Frauen: 2,0), Erkrankungen der Atemwege (Männer: 2,7, Frauen: 2,5) und plötzlichen Herztod (Männer: 2,2, Frauen: 2,7).

Die Autoren schließen, dass die Adipositas im Adoleszentenalter mit einer erhöhten Mortalität an verschiedenen wichtigen Ursachen im mittleren Alter korreliert ist.

Das ist ganz klar kein gutes Zeichen für das, was unsere Töchter und Söhne erwartet, wenn wir die Adipositas-Krise nicht in den Griff bekommen.

AMS
Edmonton, Alberta

Mittwoch, 6. August 2008

Sibutramin senkt den Blutdruck bei Hochrisikopatienten

Sibutramin (Markenname Reductil), ein Serotonin- und Norepinephrin-Wiederaufnahmehmmer (SNRI), ist ein verschreibungspflichtiges Medikament für die Adipositas-Therapie.

Obwohl Sibutramin seit fast einer Dekade in über 70 Ländern erhältlich ist und belegen konnte, dass es das Gewicht und Komorbiditäten sowie Risikofaktoren bei adipösen Menschen senkt, blieb sein bei einigen Patienten blutdrucksteigerndes Potenzial eine wichtige Hürde für den breiten Einsatz.

In der neuesten Ausgabe von Diabetes Obesity and Metabolism veröffentlichen wir gemeinsam mit anderen Kollegen vom Executive Steering Committee eine Analyse der Blutdruckänerungen unter Sibutramin während der sechswöchigen Anfangsphase des Sibutramine Cardiovascular Outcomes Trial (SCOUT), einer laufenden doppelblinden randomisierten plazebokontrollierten Studie an mehr als 10,000 übergewichtigen/adipösen Patienten mit hohem Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis.

In der sechswöchigen Anfangsphase erhielten 10,742 Patienten Sibutramin und Gewichtsmanagement. Zu Studienbeginn hatten etwa 50% der Patienten einen zu hohen Blutdruck, und 26% lagen im hochnormalen Bereich.

Bei hypertensiven Patienten sank der Bludruck im Median um 6.5 mmHg systolisch und 2.0 mmHg diastolisch (p < 0.001). Selbst hypertensive Patienten ohne Gewichtsabnahme oder mit Zunahme hatten eine mediane Abnahme des Blutdrucks um 3.5 mmHg systolisch und 1.5 mmHg diastolisch (p < 0.001). Etwa 43% der Patienten, die eingangs als hypertensiv galten, waren am Endpunkt nach 6 Wochen einer niedrigeren Blutdruckkategorie zuzuordnen.

Auf der anderen Seite zeigte sich bei normotensiven Patienten ein medianer Anstieg um 1.5 mmHg systolisch und 1.0 mmHg diastolisch (p < 0.001), der sich unter der Gewichtsabnahme jedoch wieder abschwächte.

Wie erwartet, waren die Pulsraten gleichmäßig über alle Blutdruck- und Gewichtsverlustkategorien erhöht (im Median 1-4/min, p < 0.001).

Alle Patienten erhielten Sibutramin in der Einleitungsphase, und man muss sich vor Augen halten, dass ein Teil der Blutdrucksenkung durch eine Regression zum Mittelwert erklärbar sein könnte. Dennoch bestätigen die Daten, dass selbst bei einer Population mit hohem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse die Mehrheit der Patienten (besonders die hypertensiven) eine Blutdrucksenkung erfahren wird.

Ob die Behandlung mit Sibutramin auch die kardiovaskuläre Mortalität senken wird, muss man noch abwarten, bis die Studie im nächsten Jahr endet.

Bis dahin unterstützen diese Daten jedenfals die Auffassung, dass Sibutramin in der großen Mehrheit der Patienten mit kontrollierter Hypertonie eingesetzt werden kann, ohne einen Blutdruckanstieg befürchten zu müssen.

Bei den wenigen Patienten, bei denen der Blutdruck doch ansteigt, sind selbstverständlich entsprechende Anpassungen der antihypertensiven Medikation oder das Absetzen des Sibutramins zu erwägen.

AMS
Edmonton, Alberta

Interessenkonflikt: Ich gehöre dem Executive Steering Committee des SCOUT an und erhalte Honorare für Zeit und den Aufwand von Abbott Laboratories, dem Hersteller von Sibutramin.